Rote Gruetze mit Schuss
ein paar Krümel gelber Sand waren an der Schulter hängen geblieben.
»Sieht sie nicht wunderschön aus«, hauchte Leif.
»Wir müssen davon ausgehen, dass Ihre Frau Jörn Brodersen erschossen hat«, hatte die Kommissarin gesagt.
Die Kriminaltechnik aus Kiel hatte erneut eine Sonntagsschicht einlegen müssen. Mike Börnsen war noch vor Ort. Er hatte den Rest der Nacht nach dem Feuerwehrfest auf der Pritsche der kleinen Fredenbüller Gefängniszelle verbracht. Die Kollegen und Gerichtsmediziner Carstensen reisten schlecht gelaunt aus Kiel an. Nach getaner Arbeit und einer Stärkung in »De Hidde Kist« verließen sie mit der toten Swaantje auf der Ladefläche Fredenbüll wieder. Der Stand der Ermittlungen blieb auch nach weiteren Untersuchungen der Kriminaltechnik dürftig. Die Untersuchung des Todeszeitpunktes hatte ergeben, dass Brodersen und Swaantje so gut wie gleichzeitig gestorben waren.
»Dieser Fall ist ein echtes Rätsel«, seufzte Nicole Stappenbek, nieste und zündete sich eine Benson & Hedges an. »Thies hat schon recht«, schniefte sie, »erst hat er sie erstickt und dann hat sie ihn erschossen.«
Swaantje hatte tatsächlich geschossen. Die Schmauchspuren an ihrer Hand waren inzwischen von der Kriminaltechnik bestätigt. Gleichzeitig war sie erstickt worden. Die Gerichtsmedizin hatte grüne Fasern in ihren Bronchien gefunden und in dem grünen Kissen aus der Remise hat die KTU Kohlenmonoxid nachgewiesen, DNA von Swaantje.
Eine Woche lang hatte Swaantje in Plastik gehüllt und notdürftig mit Sand überschüttet in dem Graben gelegen. Ihr Mörder konnte nicht ahnen, dass die Bauarbeitenan dem Fahrradweg gestoppt wurden. Normalerweise wäre der Graben gleich am Wochenanfang weiter mit Sand gefüllt und asphaltiert worden.
»Nu stell dir vor, wenn wir im Sommer mit ’m Rad auf dem neuen Fahrradweg zum Baden gefahren wären. Immer über die tote Swaantje weg«, hatte Antje mit besorgter Miene gesagt. »Wir hätten von nix gewusst, wenn Susi sie nich gefunden hätte.«
32
Der Nebel wird dichter. Die Schwaden treiben Leif Ketels entgegen, kalt und feucht. Sein Gesicht spannt. Es ist immer nur der nächste Begrenzungspfosten zu sehen. Als er auf seinem Rad in die lange Kurve vor Neutönningersiel fährt, leuchten plötzlich sechs verschwommene Lichtkreise aus dem Dunst auf. Im gleichen Moment hört er ein dumpfes Dumm-dumm-dumm auf sich zukommen. Ganz kurz nur sieht Ketels die verschwommene Silhouette eines weißen Gefährts an sich vorbeihuschen. Ein paar dumpfe Töne klingen noch nach. Dann ist es wieder still, als wäre alles nur einen böser Traum gewesen.
Dass dies die private Rennstrecke des Schimmelreiters ist, daran hat Leif Ketels nicht gedacht. Aber in der Suppe hat ihn Schröder vermutlich gar nicht bemerkt.
Kurz darauf erreicht er Neutönningersiel. Jetzt muss er richtig aufpassen, denn hier darf ihn wirklich niemand sehen. Alles ist ruhig. Kein Mensch da. Nur ein paar Austernfischer ziehen schrill piepend Richtung Nordsee über ihn hinweg.
In dem Ausflugscafé »Wattblick« an der kleinen Brücke ist es stockdunkel. Hier ist selten etwas los. Nur am Sonntagnachmittag herrscht Hochbetrieb, wenn die Altbauern in ihrem Diesel im Schritttempo zum Kaffeetrinken fahren. Eigentlich besteht Neutönningersielnur aus diesem Lokal. Andere Häuser gibt es nicht. Ein Stück weiter kommt dann die Badestelle mit dem kleinen Strand und der weiß gestrichenen Bretterbude der DLRG.
Leif stellt das Rad am Deich so ab, dass es niemand sieht. Zu Fuß nähert er sich der Badestelle. Zwei Krähen fliegen krächzend aus der einsamen Ulme neben der Brücke auf. Ihre spitzen schwarzen Schwingen zerschneiden die Nacht. Der Mond kämpft sich jetzt durch den Nebel. Aber die Nordsee ist nicht zu sehen. Es herrscht Niedrigwasser. Im Watt dümpeln ein paar Wasserlachen. Die See verschwindet im Dunst.
Kein Mensch ist zu sehen. Zumindest kann Leif niemanden entdecken. Die Polizei scheint ihn jedenfalls nicht zu erwarten. Der Parkplatz vor der Badestelle ist leer. Er geht zu dem Rettungskasten und öffnet ihn. In der Box findet er eine leicht angestaubte Schwimmweste, einen in Folie geschweißten Merkzettel mit Zeichnungen von Personen in stabiler Seitenlage und bei der Mund-zu-Mund-Beatmung. Ein Kuvert ist nicht zu entdecken.
Leif sieht sich um. Ein Strand ist es eigentlich gar nicht. Mehr eine Wiese, die in einen Sandstreifen ausläuft, der ins Watt übergeht und bei Hochwasser überspült wird. Auf dem
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