Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
können. Für diesen ganzen Zirkus hatte ich wirklich keine Zeit.
»Also gut«, sagte ich drohend. Giguhls Weigerung, sich in den Käfig stecken zu lassen, hatte meinen Ehrgeiz geweckt. Der Kater musste in die Box, und wenn es das Letzte war, was ich in diesem Leben tat! Außerdem sagte mir die Idee, ihn mitzunehmen, inzwischen wirklich zu. Giguhl konnte mir vielleicht nicht nur bei meinem Auftrag mit Clovis behilflich sein, sondern möglicherweise erfuhr ich in San Francisco auch, wie ich ihn wieder nach Irkalla zurückschicken konnte.
Ich verließ das Schlafzimmer und kehrte zwei Minuten später mit einem Katzenspielzeug und einer Spraydose mit Katzenminze zurück – weitere Überbleibsel von meinem früheren Mitbewohner. Ich ging vor dem Bett in die Hocke. Eine Pfote kam herausgeschossen und versuchte mich am Fuß zu erwischen, gefolgt von einem wütenden Fauchen. »Verzieh dich!«
»Hier, Kätzchen, hier, liebes Kätzchen!« Während ich so säuselte, ließ ich den rosafarbenen Federball, den ich zuvor mit Katzenminze eingesprüht hatte, verführerisch vor dem Bett hin und her rollen. Ich kam mir zugegebenermaßen ziemlich lächerlich vor.
Nach wenigen Minuten erschien wieder eine Pfote und versuchte halbherzig, den Ball zu fangen. Ich versteckte
das Katzenminzespray hinter meinem Rücken, während ich das Spielzeug weiter vor dem Bett hin und her rollen ließ. Endlich zeigte sich eine rosa Nasenspitze und begann neugierig an den Federn zu schnüffeln.
Es war eindeutig, dass Giguhl versuchte, dem Lockruf der Minze zu widerstehen. Aber sein Katzennaturell ließ sich nicht verleugnen, und schon bald sprang er heraus und vergrub seine kleine Schnauze in den Federn. Schnurrend begann er sich am Ball zu reiben.
Sekunden später lag er bereits auf dem Rücken und schloss träumerisch die Augen. Ich musste lachen. Zum Glück hatte das Katzenspray noch nicht seine Wirkung verloren. Blitzschnell hob ich seinen entspannten Körper hoch und legte ihn vorsichtig in den Käfig. Ich verschloss die Luke, hängte eine Wasserflasche ans Gitter und drückte auch noch ein Gummispielzeug hindurch.
Acht Minuten später schnallte ich meine Tasche auf der Ducati fest. Davor war die Katzenbox befestigt, in der inzwischen ein wütendes Kratzen und Miauen begonnen hatte.
»Lass mich auf der Stelle raus, du Missgeburt einer Lilith!«
»Halt den Mund, Kater«, erwiderte ich. »Es ist nur zu deinem Besten.«
Ich schwang ein Bein über die Maschine und setzte meinen Helm auf. Wir hatten bereits viel zu viel wertvolle Nachtzeit verschwendet und mussten die Stadt der Engel endlich hinter uns lassen.
»Bitte anschnallen.«
Giguhl ließ ein lautes Fauchen vernehmen, was diesmal verdächtig nach »Zicke« klang.
Kurze Zeit später bretterten wir bereits den Highway
101 hinunter. Normalerweise nahm ich lieber den Pacific Coast Highway, doch in diesem Fall blieb mir keine Zeit für die malerischere Route.
Ich schmiegte mich an die Maschine, um so windschnittig wie möglich zu fahren. Wie immer auf der Ducati fühlte ich mich frei und voller Leben. Doch diesmal quälte mich etwas. Ich ahnte, dass ich mehr als nur L.A. hinter mir lassen würde. Nach einer Weile schüttelte ich das seltsame Gefühl jedoch ab und versuchte, mich auf die Straße und die Dinge zu konzentrieren, die vor mir lagen.
Ich drehte auf, bis wir mit Hundert über die Straße schossen. Je schneller ich Clovis umbrachte, desto schneller wäre ich wieder in L.A. Und erst dann hätte ich den Respekt meiner Großmutter gewonnen.
Es war auch wirklich an der Zeit.
10
Am nächsten Abend ließ ich Giguhl in dem Motelzimmer zurück, das ich mir in einem zwielichtigen Viertel in der Nähe des Bahnhofs genommen hatte. Er hatte mich seit unserer Abreise von Los Angeles weder eines Wortes noch eines Blickes gewürdigt. Ich nahm an, er würde sich beruhigen, wenn sein Fell wieder glatt und ordentlich aussah. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihm erlauben sollte, sich in seine Dämonengestalt zurückzuverwandeln. Doch ich wollte nicht riskieren, dass er so von einem Zimmermädchen entdeckt wurde, und ließ es deshalb bleiben.
Natürlich war es wesentlich wahrscheinlicher, in einem Rattenloch wie dem Sleep Inn eine Kakerlake zu finden als ein Betthupferl auf dem Kopfkissen oder ein Zimmermädchen. Das Zimmer roch muffig und verschimmelt, und auch die merkwürdigen Flecken auf dem Teppichboden waren nicht gerade Hinweise darauf, dass es hier einen Zimmerservice gab.
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