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Rote Lilien

Rote Lilien

Titel: Rote Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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er sich vor Hayley. »Du wirst es akzeptieren müssen«, sagte er dann zu Amelia. »Du bist tot. Wir nicht.« Der Schlag traf ihn mit solcher Wucht, dass er zwei Meter durch die Luft geschleudert wurde und gegen die Wand prallte. Als sich der Nebel vor seinen Augen lichtete, schmeckte er Blut im Mund. »Hör auf. Hör auf«, schrie Hayley. Sie stemmte sich gegen den eiskalten Wind, um zu Harper zu gelangen. »Er ist dein Ururenkel! Er ist von deinem Blut! Du hast ihn in den Schlaf gesungen, als er noch klein war! Du kannst ihm doch jetzt nicht wehtun.«
    Sie kämpfte sich weiter, obwohl sie nicht wusste, was sie tun würde, wenn sie Amelia erreichte. Bevor Harper sie zurückreiߟen konnte, wurde sie von einem Windstoߟ von den Beinen gerissen und auf den Boden geschleudert. Sie dachte, sie würde jemanden schreien hören, aus Wut oder Schmerz. Dann war alles still, bis auf das Heulen des Sturms.
    »Bist du verrückt geworden?« Harper kniete sich neben sie und half ihr, sich aufzurichten. »Nein, aber du vielleicht. Schließlich bist du derjenige, dessen Mund blutet.« Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut weg. »Bist du verletzt?«
    »Nein. Sie ist weg. Sie ist endlich weg. Mein Gott, Harper, sie hatte ein Messer.«
    »Das war eine Sichel. Aber du hast Recht, es war eine Premiere.«
    »Dieses Ding ist doch nicht echt, oder? Ich meine, sie ist ein Geist, also kann der Rest von ihr nicht real sein. Sie könnte uns also nicht damit aufschlitzen. Was meinst du?«
    »Völlig unmöglich.« Doch insgeheim fragte er sich, ob Amelia einen dazu bringen konnte, sich einzubilden, dass man verletzt war, oder sich selbst zu verletzen, wenn man sich gegen sie zur Wehr setzte. Hayley blieb auf dem Boden liegen und starrte an ihn gelehnt zu den Balkontüren, während sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Als ich hierher gezogen bin und mit Lily schwanger war, ist sie manchmal in mein Zimmer gekommen. Es war ein bisschen unheimlich, aber auch irgendwie tröstlich. Ich hatte den Eindruck, dass sie nur nach mir sehen wollte, dass sie sich vergewissern wollte, ob mit mir alles in Ordnung war. Und damals wirkte sie irgendwie traurig, so, als hätte sie Sehnsucht nach etwas. Doch jetzt ist sie....
    Als sie den Gesang im Empfänger des Babyfons hörte, sprang sie auf und rannte hinaus. Sie war schnell, doch Harper war schneller und erreichte die Tür von Lilys Zimmer zwei Schritte vor ihr. Er streckte den Arm aus und hielt sie davon ab, das Zimmer zu betreten. »Es ist alles in Ordnung. Wir wollen sie doch nicht wecken.« Lily schlief in ihrem Bettchen, mit ihrem Plüschhund im Arm. Amelia saߟ im Schaukelstuhl und sang.
    Sie trug ihr graues Kleid, ihr Haar war in ordentliche Locken gelegt, und auf ihrem Gesicht lag ein ruhiger, gelassener Ausdruck. »Es ist so kalt hier.«
    »Das macht Lily nichts aus. Mir hat es als Kind auch nichts ausgemacht. Warum, weiߟ ich nicht.« Amelia wandte den Kopf und sah sie an. Auf ihrem Gesicht lagen Trauer, Schmerz und - wie Hayley dachte - Bedauern. Sie sang weiter, leise und melodisch, doch jetzt lag ihr Blick auf Harper. Als das Lied zu Ende war, verschwand sie. »Sie hat für dich gesungen«, sagte Hayley zu ihm. »Ein Teil von ihr erinnert sich daran, ein Teil von ihr weiߟ es, und es tut ihr Leid. Wie das wohl sein mag, wenn man seit hundert Jahren verrückt ist?«
    Zusammen gingen sie zu Lilys Bettchen, wo Hayley die Decke zurechtrückte. »Es ist alles in Ordnung, Hayley. Lily geht es gut. Komm, wir gehen.«
    »Manchmal weiߟ ich wirklich nicht, ob ich es noch länger in diesem Spukhaus aushalte.«
    Sie fuhr sich durchs Haar, während sie wieder zu ihrem Schlafzimmer gingen.
    »In einem Moment schleudert sie uns durch die Luft, und im nächsten singt sie uns Schlaflieder vor.«
    »Völlig irre«, fügte er hinzu. »Aber vielleicht hat sie uns damit sagen wollen, dass sie zwar dich und mich angreift, aber nie im Leben Lily wehtun würde.«
    »Aber was, wenn ich ihr wehtue? Was, wenn sie wieder so etwas tut wie am Teich, und mich dazu bringt, Lily oder jemand anderen zu verletzen?«
    »Das würdest du nie zulassen. Setz dich. Soll ich dir was bringen? Wasser oder lieber was anderes?«
    »Nein.« Er drückte sie aufs Bett und setzte sich neben sie. »Sie hat noch nie einen Bewohner dieses Hauses verletzt. Vielleicht hat sie es gewollt. Vielleicht hat sie es ja sogar versucht, aber sie hat nie jemandem wehgetan.« Er nahm ihre Hand, und da sie sich so kalt anfühlte, rieb er

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