Rote Spur
Kurve, mein Freund? Wann, hm?«
»Sagen Sie’s mir.«
»Wenn man eine rote Ampel überfahren hat, dann nämlich.« »Ach so.«
»Und jetzt kommen wir zum wirklich abgefahrenen Teil. Wenn der Bus abends ins Depot zurückkehrt, überträgt er die |572| Videoclips automatisch und drahtlos auf unseren Server. Einfach so, wenn der Bus durch das Tor fährt, verstehen Sie? Der Server ist mit dem Internet verbunden und schickt all diese Clips nach Amerika, wo das System entwickelt wurde. Die Amerikaner haben eine Software, mit der sie alles analysieren, und mailen die Videoclips mit den heiklen Situationen zurück an den Gebietsleiter. Die ernsten Sachen, Unfälle und so weiter, erhalten Mister Eckhardt und ich in cc.«
»Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe«, sagte Joubert. »Wenn ein Bus zu stark beschleunigt oder abbremst, nimmt die Kamera das auf.«
Philander nickte. »Und zwar mit Blickwinkel nach vorne und hinten. Man kann sehen, was der Fahrer macht und was vorne auf der Straße los ist.«
»Und an Ihrem Tor wird alles über Funk auf einen Rechner übertragen, der die Aufzeichnungen nach Amerika schickt«, fuhr Joubert ungläubig fort.
»Nicht über Funk, eher wie bei einem Handy. Das ist Hightech, mein Lieber, da muss man sich reinknien, um es zu verstehen. In Amerika werden die Daten zuerst von einer Software analysiert, die die schweren Fälle erkennt, und dann erst von den Analysten überprüft.«
»Haben Sie schon solche Videos bekommen?«
»Jede Menge. Letzten Monat hat ein Fahrer einen Fußgänger erwischt, und beim Betrachten des Videos sahen wir, wie er sich bückte, um sein Handy herauszuholen und damit zu telefonieren. In dem Moment hat er den Fußgänger angefahren. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden haben wir ihn gefeuert, denn was konnte er schon sagen? Wir hatten den Beweis, in Technicolor.«
Joubert ging ein Licht auf. »Deswegen haben also die Fahrer gestreikt.«
»Genau. Die Gewerkschaft hat behauptet, die Kamera verstoße gegen das Grundgesetz, das sei eine Verletzung der Privatsphäre. Dabei schützt sie die Fahrer im Grunde genommen. |573| Denn viele Unfälle passieren nur deswegen, weil diese Arschlöcher mit ihren dicken deutschen Autos die Busse schneiden, weil alle die Busse hassen, obwohl sie die armen Leute zur Arbeit bringen, aber die reichen Ärsche denken darüber natürlich nicht nach. Außerdem benutzen wir die Videos zum Training der Fahrer. Das Allerbeste ist, dass die Unfallschäden seit der Einführung des Systems um sechzig Prozent zurückgegangen sind. Sechzig Prozent! Und die Geldbußen wegen Verkehrswidrigkeiten ebenfalls. Dadurch sparen wir nicht nur Geld, sondern auch Zeit, denn sechzig Prozent weniger Stress, das macht richtig was aus. Die Fahrer, die sich nichts zuschulden kommen lassen, erhalten als Belohnung eine Lohnerhöhung, denn dafür ist jetzt schließlich auch mehr Geld da.«
»Also hat Danie jeden Nachmittag die Videos bekommen?«, fragte Joubert, immer den Gedanken im Hinterkopf, ob er dadurch an die vierhunderttausend Rand gekommen sein könnte.
»Ja, nachmittags hat er sie überprüft, obwohl sie schon morgens reinkommen. Abends schickt der Server alle Aufnahmen nach Amerika, und vormittags um elf, wenn sich Danie in seinen PC einloggt, warten schon die E-Mails auf ihn. Wenn etwas wirklich Schlimmes passiert ist, hat mich Mister Eckhardt bis dahin schon angerufen, und ich habe dann Danie Bescheid gesagt. Die Aufnahmen, die er also am Nachmittag durchging, waren die Kleinigkeiten, die er mit seinen Fahrern durchnehmen musste. Sie wissen schon, sich nicht provozieren lassen, immer schön die Verkehrsregeln befolgen. Das hat er dann nachmittags mit seinen Fahrern besprochen.«
»Das verleiht einem große Macht.«
»Wie bitte?«
»Die Videos. Danie Flint besaß täglich die Macht, Busfahrer zu entlassen. Denn er hatte die Beweise für ihre Übertretungen. Wie Sie gesagt haben. In Technicolor.«
»Na und?«
»Wie viele Fahrer hatte er unter sich?«
»An die achtzig.«
|574| »Und was verdient ein Busfahrer?«
»Kommt auf die Überstunden an, so zwischen vier- und sechstausend pro Monat.«
»Sechstausend?« Er rechnete im Kopf.
»Genau.«
»Na schön. Sagen wir, Danie Flint hätte zu den Fahrern gesagt, ich habe die Beweise, ich kann dich entlassen, aber wenn du mir tausend gibst, kehre ich die Sache unter den Teppich.«
Philander dachte darüber nach, schüttelte aber bald den Kopf. »Nein, das würde nicht
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