Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
aller Kraft auf einen Gummipflock biß, bis seine Kaumuskeln wie Walnüsse hervortraten.
Im Frühling 1979 hob Francis Dolarhyde einen beträchtlichen Teil seiner Ersparnisse von seinem Sparkonto ab und nahm drei Monate unbezahlten Urlaub. Er flog nach Hongkong. In seinem Reisegepäck befanden sich unter anderem auch die Zähne seiner Großmutter.
Als er danach wieder die Arbeit aufnahm, waren sich die rothaarige Eileen und seine anderen Kollegen einig, daß ihm der Urlaub gut getan hatte. Er wirkte ruhiger und entspannter. Sie bemerkten es auch fast gar nicht, daß er nie mehr die Dusche oder den Umkleideraum für die Angestellten benutzte, zumal er dies auch früher nur selten getan hatte.
Das Gebiß seiner Großmutter lag wieder in dem Glas neben ihrem Bett. Sein eigenes neues hatte er oben in seinem Schreibtisch weggeschlossen.
Wenn Eileen ihn vor seinem Spiegel hätte sehen können, das Gebiß nun endlich passend, die neue Tätowierung im grellen Licht des Trainingsraums deutlich erkennbar, hätte sie bestimmt entsetzt aufgeschrien. Aber nur einmal.
Nun hatte er Zeit, und nun hatte er auch keine Eile mehr. Er hatte unbegrenzt Zeit. Es dauerte noch fünf Monate, bevor er sich für die Jacobis entschied.
Die Jacobis waren die ersten, die ihm bei seinem großen Werk behilflich waren; die ersten, die ihn auf seinem ruhmreichen Werdegang begleiten sollten. Die Jacobis waren unvergleichlich; sie waren besser als alles, was er bis dahin erfahren hatte. Bis die Leeds gekommen waren.
Und nun, da er wuchs an Kraft und Glanz, würden die Shermans in sein Leben treten und mit ihnen die neue Intimität von Infrarot. Höchst vielversprechend.

29. K APITEL

    U m zu bekommen, was er brauchte, mußte Francis Dolarhyde sein eigenes Terrain in der Gateway-Filmentwicklungsanstalt verlassen.
    Von den fünf Abteilungen von Gateway war Dolarhyde Leiter der größten; er war für die Entwicklung der Schmalfilme zuständig.
    Daneben hatte Gateway Abteilungen, in denen Schmalfilme auf Video überspielt, Luftbildkarten gedruckt und die Filme kleiner Werbefilmgesellschaften entwickelt wurden.
    1979 sollte Gateway dann einen dicken Fisch an Land ziehen. Die Firma schloß einen Vertrag mit dem Verteidigungs- und dem Energieministerium, bei dem es um die Entwicklung und Erprobung neuer Emulsionen für die Infrarotaufnahmetechnik ging. Das Energieministerium interessierte sich für seine Wärmedämmungsstudien für hochempfindliches Infrarotmaterial. Das Verteidigungsministerium benötigte es für die Nachtaufklärung.
    Infolgedessen kaufte Gateway Ende 1979 die kleine Firma Baeder Chemical gleich nebenan auf, um in deren Räumlichkeiten das Versuchsprojekt zu starten.
    In der Mittagspause ging Dolarhyde also unter einem strahlend blauen Himmel zu Baeder hinüber, wobei er um die spiegelnden Pfützen auf dem Asphalt einen weiten Bogen schlug. Seit Lounds’ Tod war er bester Stimmung.
    Bei Baeder schienen alle zum Mittagessen gegangen zu sein. Dolarhyde fand die Tür, nach der er suchte, am Ende eines Labyrinths von Gängen. Das Schild neben der Tür trug folgende Aufschrift: ›Achtung! Hochempfindliches Infrarotmaterial. Keine Lichtquellen. Nicht rauchen. Keine heißen Getränke.‹ Über dem Schild brannte eine rote Warnlampe.
    Dolarhyde drückte auf einen Knopf, worauf unverzüglich ein grünes Lämpchen aufleuchtete. Er betrat die Lichtschleuse und klopfte an die Innentür.
    »Herein.« Eine Frauenstimme.
    Kühle, vollkommene Dunkelheit. Das Gurgeln von Wasser, der vertraute Geruch von 0-76 Entwickler und ein Hauch von Parfüm.
    »Ich bin Francis Dolarhyde. Ich komme wegen des Trockners.«
»Ach ja, gut. Entschuldigen Sie, daß ich mit vollem Mund spreche. Ich habe eben noch etwas gegessen.« Er hörte das Rascheln von Papier. Dann wurde es in einen Abfallkorb geworfen.
»Eigentlich wollte Ferguson den Trockner«, fuhr die Stimme aus dem Dunkeln fort. »Er ist momentan gerade in Urlaub, aber ich weiß, wo er hin soll. Haben Sie drüben bei Gateway einen?«
»Ich habe sogar zwei. Einer ist größer. Er hat nicht gesagt, wie viel Platz er hat.« Dolarhyde hatte schon vor Wochen das Rundschreiben wegen des Problems mit den Trocknern gesehen.
»Ich zeige es Ihnen gleich, wenn Sie sich noch einen Moment gedulden.«
»Danke.«
»Stellen Sie sich mit dem Rücken gegen die Tür.« Ihre Stimme nahm plötzlich den Tonfall einer Lehrerin an, die eine gut eingeübte Lektion herunterspult. »Dann machen Sie drei Schritte nach vorn, bis Sie die

Weitere Kostenlose Bücher