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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Schwester und meiner Nichte hingegangen, als sie mir beim Umzug geholfen haben. Sie haben dort diesen Kontaktbereich, wo ich ein Lama in den Arm genommen habe. Es hat sich ja wunderbar wuschelig angefühlt, aber das Aroma, kann ich Ihnen sagen... Ich bildete mir danach ständig ein, von einem Lama verfolgt zu werden, bis ich endlich meine Bluse wechseln konnte.«
Das begann ja zu einem richtigen Gespräch auszuarten. Nun mußte er etwas sagen oder sich verabschieden. »Wie sind Sie denn zu Baeder gekommen?«
»Die Stellenangebote hingen im Reiker Institute in Denver, wo ich vorher gearbeitet habe, am Schwarzen Brett. Eine Kollegin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Bei den Einstellungen hatte Baeder übrigens eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen, um diesen Auftrag vom Verteidigungsministerium zu bekommen. Und so haben sie es tatsächlich geschafft, mit ihren acht Neueinstellungen sechs Frauen, zwei Schwarze, zwei Chicanos, einen Asiaten, einen Spastiker und mich abzudecken. Das ging natürlich nur, da jeder von uns in mindestens zwei dieser Kategorien fiel.«
»Aber Sie haben sich doch für Baeder bisher durchaus von Nutzen erwiesen.«
»Das trifft auch auf die anderen zu. Baeder sieht schon zu, daß sie auf ihre Kosten kommen.«
»Und was haben Sie davor gemacht?« Er war leicht ins Schwitzen geraten. Solche Unterhaltungen strengten ihn immer ziemlich an. Aber es tat gut, sie anzusehen. Sie hatte schöne Beine. Sie hatte sie sich sogar rasiert. Entlang seiner Arme breitete sich ein Gefühl für das Gewicht ihrer Beine - im erschlafften Zustand - aus.
»Nach meinem Schulabschluß habe ich im Reiker Institute in Denver zehn Jahre lang frisch erblindete Leute unterrichtet. Die Stellung bei Baeder ist mein erster Job draußen.«
»Wie draußen?«
»Na, eben draußen in der Welt. Bei Reiker habe ich wie auf einer kleinen Insel mitten im Ozean gelebt. Ich meine, wir haben Blinde dafür ausgebildet, in der Welt der Sehenden zu leben, ohne daß wir uns selbst in sie hinausgewagt hätten. Ich verkehrte fast ausschließlich unter meinesgleichen, so daß ich schließlich das Bedürfnis bekam, mich auch mal in die große, weite Welt hinauszuwagen. Eigentlich hatte ich geplant, mich auf Sprachtherapie für sprach- und hörbehinderte Kinder zu verlegen. Eines Tages werde ich das, glaube ich, auch noch machen.« Sie leerte ihr Glas. »Da fällt mir gerade ein: Ich habe ja noch einen Mrs. Paul’s Krabbencocktail zu Hause. Schmeckt teuflisch gut. Wieso muß ich Ihnen auch gleich als erstes die Nachspeise anbieten. Möchten Sie mal versuchen?«
»M-hmmmmm. «
»Kochen Sie?«
»M-hmmmmm. «
Auf ihrer Stirn bildete sich eine leichte Falte. Sie verschwand in die Küche. »Eine Tasse Kaffee?« rief sie von dort.
»Ah-ah.«
Sie erzählte etwas von Lebensmittelpreisen, worauf sie keine Antwort erhielt. Als sie wieder ins Wohnzimmer zurückkam, setzte sie sich, die Ellbogen auf die Knie gestützt, in ihren Sessel.
»Vielleicht sollten wir zu allererst mal eines klarstellen, bevor wir weitersprechen, ja?«
Schweigen.
»Sie haben schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt. Genauer: Sie haben nichts mehr gesagt, seit ich auf die Sprachtherapie zu sprechen gekommen bin.« Ihr Tonfall war freundlich, aber bestimmt. Kein falsches Mitleid schwang in ihr mit. »Ich kann Sie problemlos verstehen, da Sie hervorragend artikulieren und weil ich zuhöre. Die meisten Leute schenken einem gar keine Beachtung. Ständig fragen sie mich: Was, was? Wenn Sie nicht sprechen wollen - bitte, das ist Ihre Sache. Aber ich hoffe doch sehr, daß Sie mit mir sprechen wollen. Sie können es nämlich, und außerdem interessiert mich, was Sie zu sagen haben.«
»M-hmmm, in Ordnung«, erwiderte Dolarhyde leise. Ganz eindeutig war ihr diese kleine Ansprache sehr wichtig gewesen. Lud sie ihn damit etwa zu sich und dem chinesischen Spastiker in ihren Zwei-Kategorien - Club ein? Er fragte sich, in welche zweite Kategorie er wohl noch gefallen wäre.
Was sie als nächstes sagte, versetzte ihn in Erstaunen.
»Dürfte ich mal Ihr Gesicht berühren? Ich hätte gern gewußt, ob Sie lächeln oder die Stirn in Falten ziehen.« Und etwas gezwungen fügte sie hinzu: »Ich möchte einfach wissen, ob ich nun lieber den Mund halten soll oder nicht.«
Sie hob ihre Hand und wartete.
Wie würde sie wohl mit abgebissenen Fingern noch über die Runden kommen, überlegte Dolarhyde. Selbst mit seinem Alltagsgebiß hätte das für ihn kaum ein größeres Problem dargestellt, als ein Baguette

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