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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Maschinenschaden. Deshalb habe ich mich verspätet.«
Im hellen Schein der Deckenbeleuchtung konnte er, als er über ihr stand, ihre saubere Kopfhaut am Scheitel durch ihr Haar schimmern sehen.
»Haben Sie die 1000 C-Probe gesehen?«
»Ja, habe ich.«
»Die anderen fanden, daß sie ganz passabel war. Jedenfalls ist dieses Material wesentlich einfacher zu handhaben als die 1200er Serie. Glauben Sie, es wird Ihren Anforderungen genügen?«
»Auf jeden Fall.«
Sie hatte ihre Handtasche dabei und einen leichten Regenmantel. Dolarhyde wich zur Seite aus, als sie mit ihrem Blindenstock den Mittelgang herunterkam. Sie schien keine Hilfe zu erwarten. Er bot ihr keine an.
Dandridge steckte noch einmal den Kopf zur Tür herein.
»Reba, entschuldigen Sie, aber Marcia hat es furchtbar eilig. Glauben Sie, Sie kommen auch so zurecht?«
Ihre Wangen verfärbten sich leicht. »Danke, Danny, ich komme auch so zurecht.«
»Ich hätte Sie sonst schon nach Hause gebracht, Reba, aber ich bin selbst schon etwas spät dran. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr. Dolarhyde, könnten Sie vielleicht -«
»Danny, ich komme schon nach Hause.« Sie hielt ihren Ärger zurück. Da ihr die Nuancen des Mienenspiels versagt waren, blieb ihr Gesicht ruhig und entspannt. Ihre Gesichtsfarbe hatte sie jedoch nicht so gut im Griff.
Während Dolarhyde sie nun mit seinen kalten, gelblichen Augen beobachtete, konnte er ihren Ärger nur zu gut verstehen; ihm war vollkommen klar, daß Dandridges laues Mitgefühl sich für Reba wie Speichel an ihrer Wange anfühlen mußte.
»Ich bringe Sie nach Hause«, erklärte er sich ziemlich spät bereit.
»Das ist nicht nötig, aber trotzdem vielen Dank.« Sie hatte mit diesem Angebot seinerseits gerechnet und wäre auch durchaus gewillt gewesen, es anzunehmen. Aber es war nicht ihre Art, jemanden dazu zu zwingen, ihr zu helfen. Dieser Idiot Dandridge mußte alles versauen; jetzt würde sie den Bus nehmen müssen. Sie hatte das Geld für die Karte, sie kannte den Weg, und außerdem konnte sie überallhin, wo es ihr paßte.
    Sie blieb so lange in der Damentoilette, bis alle anderen das Gebäude verlassen hatten. Der Türsteher ließ sie hinaus.
    Sie folgte der Kante eines Trennstreifens, der quer über den Parkplatz verlief, zur Bushaltestelle. Ihren Regenmantel über die Schultern geworfen, ertastete sie sich mit dem Stock den Weg und achtete dabei sorgsam auf das leise Radschen, wenn die Spitze des Stocks durch eine Pfütze glitt.
    Dolarhyde beobachtete sie von seinem Kombi aus. Seine Gefühle waren ihm nicht recht geheuer; bei Tageslicht betrachtet, schienen sie ihm regelrecht gefährlich.
    Einen Augenblick lang brachen die Windschutzscheiben, die Pfützen und die schimmernden Karosserien die Strahlen der tiefstehenden Sonne und ließen eine Schere aufblitzen.
    Doch ihr weißer Stock strahlte etwas Tröstliches aus. Er fegte das Licht von den Scheren, fegte überhaupt die Scheren fort, und gleichzeitig kehrte wieder Ruhe in ihm ein, je stärker er sich wieder ihrer Harmlosigkeit bewußt wurde. Er ließ den Motor an.
    Reba hörte den Wagen hinter sich. Jetzt fuhr er ganz langsam neben ihr her.
»Nett, daß Sie mich mitnehmen wollten.«
Sie nickte lächelnd und tippelte weiter über den Parkplatz.
»Steigen Sie doch ein. Ich bringe Sie nach Hause.«
»Danke, aber ich fahre immer mit dem Bus.«
»Dandridge ist ein Trottel. Kommen Sie schon mit.« Was sagte man in so einer Situation schon? »Sie würden mir eine Freude machen.«
Sie blieb stehen. Sie hörte ihn aussteigen.
Da sie nicht wußten, was sie sonst hätten tun sollen, packten sie die meisten Leute am Oberarm. Blinde lassen sich jedoch nicht gern durch einen energischen Zugriff auf ihren Trizeps aus dem Gleichgewicht bringen. Für sie ist das nicht minder unangenehm, als zum Wiegen auf eine wacklige Waage steigen zu müssen. Und wie jeder andere auch ließen sie sich nicht gern gängeln.
Er berührte sie nicht, so daß sie nach einer Weile vorschlug: »Es ist besser, wenn ich Sie am Arm nehme.«
Sie hatte einige Erfahrung mit Unterarmen, aber der Dolarhydes stellte doch eine Überraschung für ihre Finger dar. Er war so hart wie der Pfosten eines Treppengeländers aus Eiche.
Sie konnte nicht ahnen, welche Überwindung es ihn kostete, sich von ihr berühren zu lassen.
Der Kombi schien ziemlich hoch und geräumig zu sein. Umgeben von Resonanzen und Echos, so ganz anders als in einem normalen Personenwagen, hielt sie sich an den Rändern des Schalensitzes fest, bis

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