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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Dunkelheit war zu groß. Sie spürte es daran, wie Annie sich zusammengerollt hatte.
    Aber beide sprachen kein Wort mehr.
    Ein Stöhnen weckte sie. Zuerst fand Molly gar nicht so schnell aus ihrem Traum heraus. Da war ein Baby, das in einem Teich schwamm und seltsame Töne von sich gab. Wie das Quaken eines Froschs. Sie machte die Augen auf. Es war noch Nacht, und sie lag in Annies Bett. Unter der Badezimmertür schien Licht durch.
    »Annie?« sagte sie, aber es kam keine Antwort.
    Sie rollte sich auf die andere Seite und machte die Augen vor dem Lichtschein wieder zu.
    Ein dumpfes Geräusch ließ sie hochfahren.
    Aufrecht im Bett sitzend zwinkerte sie in Richtung Badezimmertür. »Annie?« Keine Reaktion. Also stieg sie aus dem Bett und klopfte an die Tür. »Bist du okay?« Sie drehte am Türknopf und drückte dagegen, aber die Tür ging nicht auf. Etwas blockierte sie. Sie drückte kräftiger, und das Hindernis gab leicht nach. Die Tür ließ sich einen Spalt öffnen, und Molly lugte hindurch. Zuerst verstand sie gar nicht, was sie da sah.
    Eine Blutlache am Boden.
    »
Annie!
« schrie sie. Sie drückte mit aller Kraft gegen die Tür und bekam sie schließlich weit genug auf, um sich hindurchzuquetschen. Annie lag zusammengekrümmt in der Ecke. Ihre Schulter war gegen die Tür gelehnt und das billige Nachthemd zum Bauch hochgeschoben. Der Toilettensitz war blutbespritzt, und auch im Becken schwamm Blut. Zwischen Annies Schenkeln schoß plötzlich ein warmer Blutstrom hervor und floß auf Mollys nackte Füße zu.
    Panisch wich sie zurück und stieß gegen das Waschbecken.
    O Gott. O mein Gott.
    Annie bewegte sich nicht, nur ihr Bauch. Der krümmte und blähte sich und spannte die Haut zu einem runden Ball.
    Wieder kam Blut und breitete sich auf dem Linoleum aus, floß warm um ihre kalten Füße und ließ Molly sich aus ihrer Erstarrung lösen. Sie zwang sich, durch die Blutlache zu Annies verkrümmtem Körper zu gehen, um sie von der Tür fortzuschaffen. Sie griff ihr unter die Arme und zog, rutschte aber in dem Blut aus. Annie gab ein leises, ganz hohes Wimmern von sich, fast nur ein Zischen, wie Luft, die aus einem Ballon entweicht.
    Molly zog kräftiger und bekam Annie ein Stück weiter über das Linoleum gezogen. Schließlich stützte sie die Füße am Türpfosten ab und hob Annie hoch.
    So gelang es ihr, Annie aus dem Badezimmer zu schaffen.
    Sie hielt sie an beiden Armen und schleifte sie über die Schwelle. Dann knipste sie das Licht im Schlafzimmer an.
    Annie atmete noch, aber ihre Augen waren nach hinten gerollt, und ihr Gesicht war weiß.
    Molly lief hinaus in den Flur und die Treppe hinunter, klopfte an die Türen im Erdgeschoß und rief: »Helft mir! Bitte,
helft mir!
« Niemand machte auf.
    Sie lief auf die Straße, fand einen Münzfernsprecher und wählte die 911.
    »Notruf.«
    »Einen Krankenwagen! Sie blutet …«
    »Ihr Name und Ihre Adresse?«
    »Ich heiße Molly Picker. Die Adresse weiß ich nicht. Ich glaube, es ist an der Charter Street …«
    »Welche Straße kreuzt?«
    »Das kann ich nicht sehen! Sie wird sterben …«
    »Sehen Sie die nächste Hausnummer?«
    Molly drehte den Kopf. Ihr Blick fuhr das Gebäude entlang.
    »1076! Ich sehe eine 1076.«
    »Wo ist das Opfer? In welcher Verfassung ist es?«
    »Sie ist oben in ihrer Wohnung … sie liegt am Boden und blutet und blutet …«
    »Ma’am, ich schicke sofort eine Ambulanz los. Bleiben Sie dran …«
    Scheiße,
dachte Molly, ließ den Hörer baumeln und rannte ins Haus zurück.
    Annie lag auf dem Boden im Schlafzimmer, genau an der Stelle, wo sie sie verlassen hatte. Ihre Augen waren offen, aber glasig und blicklos.
    »Bitte, du mußt wach bleiben.« Molly griff Annies Hand, aber es kam kein Gegendruck. Nicht einmal warm fühlte sie sich mehr an. Sie sah auf ihre Brust, sie bewegte sich in flachen Zügen auf und ab.
Atme weiter. Bitte, atme weiter.
    Dann fiel ihr eine andere Bewegung auf. Annies Bauch schien aufzuquellen, als ob von da drinnen ein fremdes Wesen ins Freie platzen wollte. Zwischen den Schenkeln quoll wieder Blut hervor.
    Und noch etwas quoll. Etwas Pinkfarbenes.
Das Baby.
    Molly hockte sich zwischen Annies Knie und schob die Schenkel auseinander. Frisches Blut, mit Fruchtwasser vermischt, lief über einen Arm. Jedenfalls
hielt
Molly ihn für einen Arm. Aber sie sah keine Finger, keine Hand, nur diese glänzende, schimmernde Flosse, die sich langsam vor und zurück bewegte. Eine letzte Kontraktion, ein letzter Erguß von

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