Roter Fluch - Wells, J: Roter Fluch - Mage in Black - Red-Headed Stepchild Trilogie 2
du mit der Seite von dir Kontakt aufnimmst, die du seit über fünfzig Jahren unterdrückst.«
Ich warf die Arme in die Luft. »Gütige Lilith, was ist bloß los mit euch? Ich kam hierher, weil ich meine Schwester kennenlernen wollte.«
Das war gelogen, und das wussten wir beide. Ich war hierhergekommen, um mich zu rächen.
Rhea schürzte die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. »Schwachsinn. Wir wissen beide, dass du gekommen bist, um Rache an Lavinia Kane zu üben. Jetzt hör mir mal genau zu: Ohne Magie wirst du sie niemals besiegen. Und du wirst nie eine gute Magierin werden, wenn du nicht zuerst deine eigenen Dämonen schlägst. Ich bin da, um dir zu helfen. Ich weiß, es macht dir Angst, aber du wirst dich nicht weiterentwickeln, solange du dieser Angst nicht ins Auge siehst.«
Ich riss wutschnaubend den Kopf hoch. »Ich habe keine Angst.«
Rhea stöhnte ungeduldig auf. »Jede Art von Wut entsteht aus Angst. Und du hast verdammt viel Angst. Entweder machst du so weiter und redest dir ein, du hättest keine, oder du kannst sie bei den Hörnern packen und sie zu deinem Vorteil nutzen.« Sie trat näher und legte mir eine Hand auf die Schulter. »In dir steckt so viel, Sabina. Lass mich dir helfen, es zu finden.«
Diese Unterhaltung verursachte mir Magenkrämpfe.
Aber Rhea wollte mich herausfordern. Jetzt einen Rückzieher zu machen, würde bedeuten, dass ich die Angst siegen ließ. Denn die Magierin hatte Recht. Ich hatte höllische Angst. Angst es zu versuchen. Angst zu versagen. Aber vor allem hatte ich Angst, dass meine Großmutter Recht gehabt hatte – dass ich nur ein erbärmliches Nebenprodukt eines schrecklichen Fehlers meiner Eltern war. Nichts Besonderes. Eine beschämende Platzverschwendung.
Der Zorn kam aus dem Nichts. Tränen der Wut traten mir in die Augen. Ich holte tief Luft und versuchte, sie in die dunkle Ecke zurückzuverbannen, in der ich sie normalerweise versteckt hielt. Doch die Tränen ließen sich keinen Einhalt gebieten und drängten immer weiter.
Ich musste an die furchtbaren Worte meiner Großmutter denken. An jene Worte, die sie mir gesagt hatte, als sie herausgefunden hatte, dass mir der Apfelholzpfahl nichts anhaben konnte, den sie mir gerade in die Brust gerammt hatte. Die Worte, die alles beinhalteten, was sie all die Jahre von mir gedacht und für mich empfunden hatte. Das erste Mal hatte sie es laut ausgesprochen:
Du bist eine Schande für meine Familie.
Der Damm brach. Eine Welle des Zorns schlug über mir zusammen, und auf einmal glaubte ich, darin zu ertrinken. Ich wollte zuschlagen. Meine Venen füllten sich mit Lava. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, und meine Brust platzte fast vor dem Bedürfnis, diesen einen Schrei auszustoßen, den ich seit fünf Jahrzehnten unterdrückt hielt. Ich hatte das Gefühl, daran zu ersticken. Auf keinen Fall konnte ich zulassen, dass Rhea Zeuge eines solchen Ausbruchs wurde.
Natürlich sah sie, dass etwas mit mir nicht stimmte. Aber sie wich nicht zurück und brachte sich nicht in Deckung – was mich überraschte. Ich war so wütend, dass meine Augen förmlich glühten. »Wie geht es dir?«, fragte sie stattdessen.
Es fiel mir schwer zu sprechen. Mein Kiefer schmerzte vom heftigen Zusammenbeißen der Zähne. »Ich will jemanden umbringen.«
Nicht irgendjemanden. Nein, ich wollte Lavinia Kane umbringen. Ich wollte ihr wehtun. Ich wollte sie angreifen. Ich wollte sehen, wie ihr Blut floss. Vor allem jedoch wollte ich, dass sie zumindest einen Teil des Leides selbst erfuhr, das sie mir mein ganzes Leben über zugefügt hatte.
Rhea nickte. »Okay, gut. Jetzt möchte ich, dass du diese Wut annimmst.«
Meine Beine zitterten. Meine Finger zuckten, als wollten sie jemanden erwürgen. »Ich muss auf etwas einschlagen. Und zwar hart.«
»Schließ die Augen.«
Ich riss den Kopf zurück. Wenn ich mich jetzt diesen Empfindungen überließ, würde ich wahnsinnig werden. Da war ich mir sicher.
»Sabina, hör mir zu. Schließ die Augen. Gut. Jetzt atme tief ein.«
Luft rasselte in meinen Lungen und kratzte in meiner Luftröhre.
»Jetzt möchte ich, dass du dir vorstellst, wie du all deine Wut zusammennimmst und in der Mitte deines Körpers zu einem glühenden Ball formst.«
Ich suchte so verzweifelt nach etwas, was die Heftigkeit der Gefühle lindern würde, dass ich tat, was sie mir
sagte. Ich stellte mir die Wut wie einen neonroten Nebel vor, der meinen Körper erfüllte, und konzentrierte mich darauf, ihn durch meine Arme und
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