Roter Herbst - Kriminalroman
davongelaufen?«
»Gut«, sagte Amanda, »sprechen wir mit ihm. Fragen wir ihn nach seinen alten Kameraden.«
20
Bichlmaier machte sich am frühen Morgen des folgenden Tages noch einmal auf den Weg zu seiner ehemaligen Kaserne, nachdem er zuvor mehrmals vergeblich versucht hatte, Rune über sein Handy zu erreichen. Anders als beim letzten Mal glaubte er nicht, verfolgt zu werden. Dennoch fühlte er sich unbehaglich und er nahm die Schatten der Vergangenheit als bedrohliche Begleiter wahr.
Als er das Gebäude betrat, in dem Rune hauste, erschien ihm die Situation völlig unwirklich. Und doch, alles sah aus, wie beim letzten Mal, als er nach Rune gesucht hatte. Von dem war wieder nichts zu hören und zu sehen. Auch Sandor war nicht mehr da.
Unzufrieden verließ Bichlmaier daraufhin die Unterkunft. Vor dem Gebäude blieb er einen Moment lang unschlüssig stehen, und ohne so recht zu wissen, warum, wandte er sich in Richtung des alten Wachturms, den sie damals gemeinsam bestiegen hatten.
Die Tür zu dem Gebäude war noch immer unverschlossen und trotz seines Widerwillens stieg er die alten Stufen hoch, froh, als er Licht durch die Scharten des Turmes erblickte.
Er öffnete die Dachluke und trat hinaus ins Freie. Wieder war er überwältigt von dem Blick, der sich ihm bot.
Über dem Moor stand eine glutrote Sonne, die die riesige Fläche bis zum Horizont wie ein schimmerndes Tuch überzog. Nichts bewegte sich. Eine Landschaft still wie Glas. Im ersten Moment empfand er diese Stille als absolut. Erst nach und nach begann er, unterschiedliche Laute wahrzunehmen, ein Singen und Pfeifen, das zu ihm heraufdrang wie Musik aus einer unendlichen Ferne.
Warum war er hierher zurückgekommen? Zögernd trat er vor an den Rand der Plattform, hielt sich am brüchigen Geländer, das ihn vom Abgrund trennte. Er erinnerte sich, was Rune vor wenigen Tagen gesagt hatte. Beim Blick in die Tiefe sei ihm, als herrsche er über die Welt zu seinen Füßen …
Bichlmaier wusste, dass er selbst dieses Gefühl nie empfinden würde. Es kostete ihn Überwindung, den Blick zu heben und ihn in die Weite schweifen zu lassen. Seine Finger krallten sich dabei in das morsche Holz, durch das ein leichtes Zittern ging. Das Licht der Sonne blendete ihn. Mit einem Mal, nachdem er einige Sekunden so verharrt hatte, war ihm, als sähe er in der Ferne eine Gestalt, einen Mann, der auf ihn zuzulaufen schien. Er erschrak. Eine Situation, die er schon einmal erlebt hatte. Doch als der Mann näherkam, erkannte er verwundert, dass er es selber war, der da lief und gestikulierte. Er sah sich selbst. Bichlmaier nahm wahr, dass er sich immer wieder umdrehte und auf das Moor hinaus deutete. Was wollte er, wollte er sich dort unten zuschreien, was war dort?
Plötzlich wurde ihm schwindlig und er machte einen Schritt zur Seite, ohne das Geländer loszulassen. O Gott, er wollte nicht fallen. Der Schwindel wurde stärker, füllte seinen Kopf, und er spürte, wie es ihn mit gewaltiger Kraft nach unten zog.
In dem Augenblick flog eine Elster mit rauschendem Flügelschlag heran und ließ sich, nur wenige Meter von Bichlmaier entfernt, auf dem Turmgeländer nieder. Misstrauisch beäugte sie ihn, der völlig erstarrt in die Tiefe blickte.
Nowak hatte sich schon lange nicht mehr gemeldet, und Amanda war drauf und dran gewesen, ihrerseits Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Jetzt rief er an.
»Es gibt Neuigkeiten«, sagte er. »Die Kollegen sind mittlerweile sicher, dass jemand durch das Wohnzimmerfenster in die Wohnung von Marlies Berger eingedrungen ist. Es konnten sogar DNA-Spuren sichergestellt werden, die auch in der Wohnung auftauchen.«
»Das kann doch nicht sein«, rief sie in den Hörer.
Nowak schwieg einen Moment lang etwas konsterniert. »Wie bitte? Zweifelst du an …«
»Nein, natürlich nicht. Es ist bloß … Die Ergebnisse der Obduktion liegen vor. Eindeutig kein Fremdverschulden. Marlies ist an Herzversagen gestorben.«
Eine Weile schwiegen sie beide.
»Das ist verdammt sonderbar. Was bedeutet das? Was glaubst du?«
»Vielleicht war Marlies schon tot, als der Einbrecher die Wohnung betrat …«
»… oder er hat sie zu Tode erschreckt«, führte Amanda seinen Gedanken fort.
»Schon möglich.«
»Gibt es Hinweise, wer der Einbrecher sein könnte?«
»Nope. Wir haben die Spuren durch sämtliche nationalen und internationalen Karteien gejagt. Niente. Nirgends registriert.«
»Also keiner von unseren Kunden.«
»Scheint so.«
Eigenartig, dachte
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