Roter Herbst - Kriminalroman
Männer, die ganz hinten im Raum sitzen, hat sie Angst. Auch an deren Tisch wird getrunken, immer wieder muss sie Bier und Schnaps heranschleppen. Aber die Blicke, die sie ihr zuwerfen, sind anders. Da schwingt etwas mit von Verachtung und Ablehnung, obwohl sich auch hier bierwässrige Augen voll Gier ihrer Brüste und Schenkel bemächtigen. »Bring uns Bier, Russin! Bring uns Schnaps!« Sie spürt die Kälte in den Worten der Männer.
Sie weiß nicht, warum die Männer sie hassen.
Stunden später hat sich der Raum geleert, bis auf einige wenige, die vornübergebeugt daliegen und schnarchen. Der Wirt, ein kräftiger Mann, macht kurzen Prozess, wirft die Schnapsleichen hinaus ins Freie, wo sie liegen bleiben. Dann wird der gröbste Dreck beseitigt, die Tische geputzt, der Rest wird ohnehin morgen erledigt. Morgen ist auch noch ein Tag.
Wenn es denn ein Morgen gäbe … Noch weiß sie nicht, was auf sie wartet.
Es sind schließlich mehr als zwei Stunden nach Mitternacht, als sie sich auf den Weg macht. In einem Nebengebäude, das außerhalb des eigentlichen Kasernengeländes steht, hat man ihr zwei kleine Zimmer zugewiesen.
Ein kurzer Weg. Noch immer spürt sie das Tanzen und Vibrieren der Sonne auf ihrer Haut, auch wenn diese längst untergegangen ist. Die Geräusche der Nacht. Das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche. Warum hat sie auf einmal Angst? Sie beschleunigt die Schritte, sieht schon den Eingang vor sich, als mit einem Mal die Männer aus der Dunkelheit treten.
Sie bleibt stehen, verharrt, versucht ein Lachen, das nicht erwidert wird.
»Wohin, Russin?«
Sie nickt zaghaft, kann nicht sprechen, deutet auf den Hauseingang. Sie erkennt einige der Soldaten, die sie vor Kurzem noch bedient hat, denen sie Bier und Schnaps gebracht hat. Männer, von dem Tisch ganz hinten, Männer, die ihr Angst eingeflößt haben. Aber da sind vor allem andere dabei, ältere, die sie den Abend über nicht wahrgenommen hat. Männer aus dem Dorf wahrscheinlich, keine Soldaten.
Einer von ihnen, mit Augen dunkler als die fahle Mondnacht, löst sich aus dem Schatten der anderen. »Ich kenn dich, russische Hure«, brüllt er. »Denkst du, wir wüssten nicht, was du hier treibst, Schlampe? Verdrehst den Kameraden die Köpfe, spionierst herum … Bolschewistensau!«
Sie versteht nicht, was er von ihr will. Sieht nur, wie sich der Kreis der Männer um sie herum schließt. Plötzlich spürt sie grobe Hände, die sie von hinten packen. Ein Stück Stoff wird ihr mit größter Brutalität in den Mund gestopft, hindert sie am Schreien, nimmt ihr die Luft zum Atmen. Und dann ist da nur noch Panik und unsägliche Angst und ein verzweifeltes Schnappen nach Luft.
Irgendwann, nach Ewigkeiten engster Enge in einem Kofferraum, nach einer Fahrt über holpriges Gelände dann das Schreckliche: Männer, die im diffusen Halblicht der Nacht um sie herumstehen, sie anstarren. Sie ist sich ihrer Nacktheit bewusst, als der Dunkle als Erster herantritt und mit einem einzigen kalten Hauch seines Stockes ihre Vergangenheit für immer löscht, ihr Herz leert. Dazu sein Gesicht, in dem sie Hass und Brutalität liest. Und da ist noch etwas … Wieder versteht sie nicht, was die Männer rufen.
»Spionin, Spionin …«
Dann beginnt die Tortur. Ihre Arme sind nach oben gerissen, Hände und Füße zusammengebunden. Die Peitschen der Männer haben kurze Griffe, die Stöcke sind lang und biegsam. Sie schlagen und schlagen und schlagen, dass kein Fleck ihres weißen Körpers unberührt bleibt.
»Spionin, Spionin …«
Dann fallen sie über sie her. Abwechselnd, einer nach dem anderen. Am Schluss, als sie, fast tot, nichts mehr wahrnimmt, lassen sie sie auf eine alte Matratze fallen, bedecken den geschundenen Körper notdürftig.
Wochen später bringen sie sie zu dem verfallenen Haus im Moor. Dort sperren sie sie ein, ketten sie fest wie einen räudigen Hund. Sie kommen abwechselnd, mal allein, mal zu zweit oder in Gruppen.
In jenen Tagen und Nächten fängt es an. Plötzlich erscheinen Dinge vor ihr, über die sie keine Gewalt hat. Bilder und Schatten drängen sich in ihre Gedanken und Träume. Bilder von Tieren, von Schlangen und Ratten, von Käfern und Aasgeiern. Sie bemächtigen sich ihres Geistes, füllen ihre Seele.
Am schlimmsten ist es, wenn der Dunkle kommt. Er kann sie aus ihrem Zwinger holen, ihre Beine spreizen oder die Peitsche tanzen lassen, kann sie dressieren, dass sie lacht, wenn er es befiehlt und weint, wenn er mit den
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