Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
Distanz zwischen ihren Körpern größer wurde. Es kam ihr so vor, als würde ihr die Seele herausgerissen, und sie schaffte es kaum, ihren Gästen zuzulächeln. Und dann plötzlich konnte sie es nicht mehr ertragen. Sie taumelte zwischen den Tischen hindurch, aus der hell erleuchteten Oase in die Dunkelheit.
Der knorrige Ast des alten Feigenbaums bot ihr festen Halt. Mara stützte die Arme darauf und starrte in die Ferne. Es war erst Halbmond, aber der Himmel war klar, so dass ein schwaches Licht über dem Land lag. Sie blickte über die graue Fläche der Savanne – unterbrochen nur vom dunklen Kreis des Wasserlochs – zu den Felsen. Als sie ihre Umrisse betrachtete, dachte sie wie immer, dass es unmöglich war, darin einen hockenden Löwen zu sehen, wenn man den anderen Namen kannte. Heute Abend schien die Überlegung eine besondere Bedeutung für sie zu haben, denn schließlich stand die Aussage dahinter, dass die Realität nicht festgeschrieben war; sie konnte sich ändern, je nachdem, wie man an sie heranging. Vielleicht konnte man ja auch nicht immer mit Bestimmtheit sagen, was real war und was nicht. Oder was richtig und was falsch war. Und wo die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verlief.
Vielleicht hatte alles nur etwas damit zu tun, wie man die Dinge betrachtete.
Und vielleicht konnte alles, was man wollte, einem auch gehören …
Mara schloss die Augen und atmete den Duft der Frangipani und der Bäume ein, die sie umgaben. Sie stellte sich vor, wie ein Tier auf Samtpfoten lautlos heranschlich. Es war gefährlich hier draußen ohne Gewehr. Sie hatte ja noch nicht einmal einen Stock oder eine Taschenlampe dabei. Aber es war ihr egal. Sie fühlte sich unbekümmert, als ob die neue Stärke in ihr sie unbesiegbar machte.
Sie hörte ihn kommen – seine Schritte, das Knacken von Zweigen, die Blätter, die er beiseite schob. Kurz blinkte eine Taschenlampe auf, aber dann wurde sie wieder ausgeschaltet. Er stand neben ihr, eine dunkle Gestalt in den Schatten, nur schwach beleuchtet vom Mondschein.
»Ich habe mir gedacht, dass du hier bist«, sagte Peter.
»Ich musste einfach weg von den anderen«, erwiderte Mara. »Nicht von dir«, fügte sie rasch hinzu.
Er lächelte, aber nur kurz.
»Ich möchte morgen nicht abreisen.« So wie er es sagte, klang es wie eine abschließende Bemerkung, als ob sie sich schon ausführlich über seine Abreise unterhalten hätten.
Mara nickte wortlos. Hier draußen, in der Dunkelheit auf dem Felsvorsprung, schienen sie von der ganzen Welt abgeschnitten zu sein. Es war ein Ort ohne Zeit, an dem sie sich vor allem verbergen konnten, was sie erwartete. Der Gedanke breitete sich wie eine Vision vor ihr aus.
Ein Bild kam ihr in den Sinn, eine Erinnerung an eine einfache Holzhütte mit Blechdach neben einem See. Sie sah den Rauch vom Kochfeuer aufsteigen. Zwei kitenges flatterten an einer Wäscheleine. Und an einem der Türpfosten lehnte eine Gitarre …
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. »Einmal waren John und ich auf Safari, weit weg von hier. Mitten in der Wildnis trafen wir auf ein deutsches Paar. Sie saßen vor ihrer Hütte und tranken Tee. Es waren keine Missionare oder Zoologen, sie lebten einfach nur dort und taten nichts. Im nächsten Ort sagte uns der Mann, der uns Diesel verkaufte, dass sie ihr altes Leben hinter sich gelassen hätten und einfach dort hinaus gezogen wären.«
Sie sind zusammen abgehauen. So hatte der Mann es formuliert. Aber diese Worte wollte Mara nicht benutzen – sie klangen nach Panik und Feigheit. Danach, dass man wichtige Dinge zurückließ.
»Ihre Kleider waren ganz abgetragen«, fuhr sie fort. »Und sie hatten nur zwei Tassen. Um mit ihnen Tee zu trinken, mussten wir unsere Tassen aus dem Landrover holen.«
»Wovon lebten sie denn?«, fragte Peter.
»Sie aßen das, was ihr Garten hergab. Sie hatten alles Mögliche angepflanzt. Indianerbananen. Bohnen. Süßkartoffeln. Erdnüsse.« Sie lächelte. »Erdnüsse anzubauen gefällt mir. Es ist wunderbar, wenn man sie ausgräbt, und all diese Nussschalen kleben an den Wurzeln. Es kommt einem vor wie ein Wunder.«
»Ich würde gerne einmal versuchen, Ananas anzubauen«, sagte Peter. »Ich habe gehört, man braucht nur die Blätter oben abzuschneiden und sie in die Erde zu stecken, und schon wächst die Pflanze.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Mara. »Bei Pawpaw ist es genauso. Man schneidet einfach einen Ast ab und steckt ihn in den Boden. In der Regenzeit wächst hier einfach
Weitere Kostenlose Bücher