Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
alles.«
»Ich wünschte, wir könnten so leben«, sagte Peter leise. »Ich wünschte, wir könnten einfach unser altes Leben hinter uns lassen.«
Mara hörte den Schmerz in seiner Stimme. Er war hin-und hergerissen zwischen dieser Welt und der, die er zurückgelassen hatte. Sie dachte an die Fotografie von seiner Familie. Die glücklichen, unschuldigen Gesichter der Kinder. Peters Arm um die Schultern seiner Frau. Sie holte tief Luft und umklammerte den Ast fester.
»Du weißt, dass es nicht geht«, flüsterte sie. Sie spürte die Wahrheit ihrer Worte. Tief im Innern schien sie die Lösung zu einem komplexen Rätsel gefunden zu haben, und jetzt stand es ihr klar und deutlich vor Augen.
Peter nickte.
Mara holte erneut tief Luft. Sie stellte sich Johns Gesicht vor. Nicht den distanzierten, wütenden, geschlagenen Mann der letzten Monate, sondern den Mann, der sie voller Freude begrüßt hatte, als sie angekommen war. Den Mann, der ihr Gesicht sanft mit Wasser abgetupft hatte, als sie Malaria hatte; den Mann, der ihr geduldig so viele Dinge über das Leben in Afrika beigebracht hatte. Den Mann, der mit ihr vor der Höhle gestanden hatte und dem sie versprechen musste, ihn nie zu verlassen. Sie hatte das Gefühl, als ob das Land, das damals Zeuge ihres Versprechens gewesen war, sie jetzt beobachtete. »Selbst wenn du frei wärst, könnte ich nicht mit dir zusammen sein.«
»Ich weiß«, sagte Peter.
Die Endgültigkeit in seiner Stimme schnitt Mara ins Herz. Am liebsten hätte sie alles, was sie gesagt hatte, wieder zurückgenommen und darauf bestanden, dass es doch noch einen Weg gab. Sie biss sich auf die Lippe, und für einen langen Moment traute sie sich nicht, etwas zu sagen. Als sie schließlich weitersprach, klang ihre Stimme leicht, als ob sie etwas Großes, Schweres hinter sich gelassen hätte.
»Wenn wir uns doch nur zu einer anderen Zeit – an einem anderen Ort kennengelernt hätten, als wir noch jünger gewesen waren …«
»Am Bondi Beach«, fiel Peter ein. »Ich sehe dich vor mir, die Nase rosa vom Sonnenbrand, ein Handtuch über den Schultern, in deinem neuen Bikini.«
»Ich hatte keinen Bikini«, sagte Mara. »Ich habe so einen Badeanzug mit kleinem Röckchen getragen. Außerdem bin ich sowieso nie zum Bondi gegangen, ich habe schließlich in Tasmanien gelebt. Aber selbst wenn ich dort gewesen wäre, hättest du mich vermutlich gar nicht bemerkt.«
»Du hast recht«, stimmte Peter zu. »Ich habe eher auf Blondinen gestanden.« Er lächelte, um anzudeuten, dass er einen Scherz gemacht hatte. Seine Zähne schimmerten weiß in der Dunkelheit.
Mara lachte und schubste ihn spielerisch. Als ihre Hand seine Schulter berührte, erstarrte er und blickte ihr in die Augen. Mara erwiderte seinen Blick. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie ließ die Hand sinken. Sein Körper schien sie anzuziehen wie ein Magnet. Aber sie ließ es nicht zu, sondern klammerte sich mit beiden Händen an den Ast, als sei er ihre einzige Rettung.
In dem angespannten Schweigen, das folgte, waren sie umgeben von den Lauten der Nacht – dem Rascheln der Insekten, dem Ruf der Nachtvögel, dem fernen Schreien der Affen in den Tiefen des Waldes.
»Ich werde dir nicht schreiben.« Peters Worte durchbrachen die Stille. »Ich könnte sowieso nur Briefe schreiben, die jeder lesen könnte – auch wenn sie es nie täten. Und das will ich nicht. Ich will uns so in Erinnerung behalten, wie wir heute waren.« Er blickte zur Grashütte. Der kleine dunkle Umriss war vor den Bäumen und Felsen kaum zu erkennen.
»Ich auch«, sagte Mara. Sie stellte sich die Erinnerung an ihre Liebe vor wie ein Samenkorn, glatt und perfekt, tief verborgen in einer Frucht, wo es sicher und geheim lag.
»Etwas anderes dürfen wir uns nicht erhoffen«, sagte sie. Ihr sicherer Tonfall versetzte sie in Erstaunen. Sie spürte, dass sie von einer tiefen Weisheit geleitet wurde, die ihr Worte eingab, die sie eigentlich gar nicht sagen wollte. Aber sie wusste, dass sie wahr waren. »Wir würden unser Leben ruinieren, wenn wir immer nur wünschten, hofften und warteten. Wir könnten einander dafür hassen.« Sie blickte Peter an, weil es ihr auf einmal ungeheuer wichtig erschien, dass sie einander richtig verstanden. »Wir müssen uns jetzt sagen, dass wir einander nie wiedersehen werden. Nur so können wir behalten, was wir geteilt haben.«
»Wir werden einander nie wiedersehen«, sagte Peter. Seine Stimme brach. »Aber hier und jetzt – liebe ich dich. Ich kann
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