Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
Büchern. Dort stand eine abgegriffene Ausgabe von Grimms Märchen . Schweigend starrte sie auf die goldenen Buchstaben des Titels, und in ihrem Kopf bildeten sich die Worte: Es war einmal im Safariland …
Der Kummer überwältigte sie, und sie schloss die Augen. Für Peter und sie würde es kein glückliches Ende geben – am späten Nachmittag würden sie einander Lebewohl sagen. Gestern Abend hatten sie einander versprochen, nicht ständig zurückzublicken, sondern Glück in ihren eigenen Welten zu finden. Aber jetzt war der Optimismus, den Mara beim Anblick der Elefanten am Wasserloch verspürt hatte, verebbt, und die Aufgabe, ihre Zukunft zu bewältigen, ragte wie ein dunkler, steiler Berg vor ihr auf. Allein der Gedanke daran, dass sie ihn besteigen musste, machte sie müde.
Sie wandte sich vom Bücherschrank ab, trat ans Fenster und blickte hinaus. Ganz hinten am Rasen sah sie die Spitze der Tonangel mit dem Mikrophon, das in einem Windschutz steckte. Als sie sich weiter vorbeugte, konnte sie die vier Personen erkennen, die dort eng zusammengedrängt standen: Leonard, Tomba, Jamie – und Peter. Sie nahmen zusätzlichen Text auf, den Leonard über Nacht geschrieben hatte, um einige der Szenen, die eigentlich für Lillian gedacht gewesen waren, abzudecken.
Mara beobachtete, wie Peter seinen Kopf kurz über ein Blatt Papier beugte und dann das Gesicht in die Richtung wandte, wo das Mikro hing. Seine Lippen bewegten sich. Er gestikulierte auch mit der Hand, als sei die Kamera ebenfalls auf ihn gerichtet. Als er fertig war, blickte er Leonard fragend an. Und nachdem der Regisseur ihm seine Zustimmung signalisiert hatte, indem er beide Daumen hob, warf Peter einen Blick über die Schulter zur Lodge.
Er hält nach mir Ausschau.
Mara wärmte sich an dem Gedanken. Sie wollte gerade an ein Fenster treten, von wo aus er sie sehen konnte, als sie Schritte in der Diele hörte: leichte, schnelle Schritte auf den gebohnerten Holzdielen. Einen Moment später betrat Helen das Zimmer. Wie immer war sie sehr sorgfältig gekleidet und hatte die Haare aus dem Gesicht gekämmt. Aber etwas war anders an ihr – Helen hatte Lippenstift aufgelegt, in einem tiefen Orangerot, das gut zu ihren Haaren passte.
Lächelnd trat sie auf Mara zu. »Der Küchen-Boy hat mich hereingelassen. Ich hoffe, es ist Ihnen recht.« Sie blieb stehen, plötzlich verunsichert.
»Ja, natürlich«, sagte Mara und erwiderte ihr Lächeln. »Ich freue mich, Sie zu sehen.« Dann wurde ihr Gesicht ernst. »Wie geht es Lillian?« Carlton hatte sie zwar gestern im Krankenhaus besucht, aber Mara war froh, aus erster Hand etwas über ihren Gesundheitszustand zu erfahren.
»Es geht ihr wirklich sehr gut«, erwiderte Helen. »Aber sie möchte gerne ihre Sachen haben. Ich wollte zuerst Joseph schicken, aber ich fühle mich verantwortlich dafür, dass nichts hierbleibt oder verlorengeht.«
»Ich glaube, Kefa hat bereits damit begonnen, die Koffer zu packen«, sagte Mara. »Ich zeige Ihnen Lillians Zimmer.«
Sie führte Helen nach draußen zu Lillians Rondavel. Als sie an der Hütte ankamen, war Kefa bereits bei der Arbeit. Helen eilte zu ihm, aber Mara blieb am Eingang stehen. Der Weg zu Peters Hütte zog ihre Blicke fast magisch an. Sie fragte sich, ob er wohl schon gepackt hatte. Sie stellte sich vor, wie er die Kleidungsstücke faltete, die sie mittlerweile so gut kannte. Wie er das Zimt-Aftershave in seine Toilettentasche räumte, wie er das Familienfoto zwischen die Kleidung legte. Wie er alles in seine Reisetasche packte und die Kordel oben fest zusammenschnürte.
Als Mara sich zu Lillians Hütte wandte, tauchte Kefa mit zwei von Lillians roten Koffern auf. Kurz darauf kam auch Helen durch die Tür und blinzelte in die starke Sonne. In der Hand hielt sie Lillians Skizzenblöcke und die gerahmte Fotografie vom Frisiertisch.
»Lillian erwähnte ein Foto von jemandem namens Theo. Darum sollte ich mich besonders kümmern. Aber ich habe nur das hier gefunden.« Helen streckte ihr das Bild des zottigen Schäferhundes entgegen.
»Das ist Theo«, sagte Mara. »Er ist ihre Familie.«
Helen kniff in einer Mischung aus Mitleid und Ungläubigkeit die Augen zusammen. »Die arme Frau«, murmelte sie. »Nun, sie wird sich auf jeden Fall freuen, wenn sie ihre Zeichenutensilien wieder hat. Es langweilt sie nämlich bereits, im Bett liegen zu müssen. Sie hat angefangen, auf den Rückseiten alter Nährwertkarten Porträts von den Mädchen zu zeichnen. Sie zeichnet
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