Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
okay«, sagte er, ohne aufzublicken. »Ich habe ein paar Dinge weggepackt, auch Ihre Bücher. Sie passten nicht hierher. Gesammelte Gedichte von Auden. Nordische Mythologie. Hamlet. Wie, um alles in der Welt, sind sie hier gelandet?«
Mara blickte sich suchend nach den Büchern um. Sie waren Johns kostbarste Schätze. Raynor hatte ihm die ledergebundenen Ausgaben gekauft, weil er es für seine Pflicht hielt, seinem jungen Lehrling zumindest eine rudimentäre Bildung zu ermöglichen. Es gab nur noch ein Buch, an dem John mehr hing, und das war eine zerfledderte Ausgabe von König Salomons Schatzkammer, die auf seinem Nachttisch lag. Das Buch war in den einsamen Jahren, die er fern von Afrika in einem englischen Internat verbracht hatte, sein einziger Gefährte gewesen.
»Keine Sorge, es passiert ihnen nichts«, sagte Rudi, als er Maras Gesichtsausdruck sah. »Ich habe sie in den Schrank neben der Tür gelegt.« Er begann, Bücher vom Tisch zu nehmen, und las laut ihre Titel vor, während er sie ins Regal stellte. » The Wanderings of an Elephant Hunter von Karamojo Bell. A Hunter’s Wanderings von Frederick Selous.« Er grinste Mara an. »Die sind viel gewandert, diese Typen!« Er ergriff ein Buch mit dunklem Einband und flexiblem Rücken und hielt es liebevoll in beiden Händen. »Sehen Sie sich dieses Baby an. Die erste Auflage von Die grünen Hügel Afrikas . Ich habe auch Schnee auf dem Kilimandscharo . Ich brauche jede Menge Hemingway.«
Mara hörte ihm kaum zu. Sie blickte sich um und entdeckte immer mehr Veränderungen. Der Raum war subtil verwandelt worden. Mara holte tief Luft, als sie daran dachte, was John wohl dazu sagen würde. Seit Raynors Tod war nichts in dem Zimmer verändert worden – und davor hatte Raynor es genauso gehalten; seit Alice hier die Memsahib gewesen war, hatte der alte Mann nicht einen einzigen Ziergegenstand verrückt.
Mara wandte sich wieder an Rudi. »Was genau machen Sie hier eigentlich?«
Rudi warf ihr einen Blick über die Schulter zu. »Ich sorge dafür, dass es authentischer aussieht. Es soll den Eindruck einer Jagdlodge vermitteln, die in den dreißiger Jahren erbaut wurde. Der Film spielt in der Gegenwart, und es ist alles verblichen und heruntergekommen.«
Mara blickte sich verwirrt um. »Aber – genauso ist es doch.« Sie bereute die Worte, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte. Sie klangen so … einfach.
»Ich muss es realer als real machen«, erklärte Rudi. »Das ist meine Aufgabe. Ich muss den Ort erschaffen, den das Publikum erwartet, und dabei berücksichtigen, was die Leute schon wissen. Dann füge ich noch ein paar Überraschungsmomente hinzu, mit denen niemand gerechnet hätte.« Erwartungsvoll blickte er Mara an, als sei er ein Darsteller, dem sie applaudieren müsse.
»Ich verstehe«, sagte Mara.
»Sie haben natürlich recht – so wie es ist, sieht es schon ganz gut aus«, fuhr Rudi fort. »Viel besser als die alte Farm, in der wir arbeiten sollten, drüben in der Nähe vom Hotel. Wir hätten Wände errichten, Decken absenken und die gesamte Grundeinrichtung sowie Trophäen, Fotos und Gewehre mitbringen müssen …« Er brach ab und blickte Mara ernst an. »Ich muss meinen Job gut machen, wissen Sie – besser als gut. Mit den Miller-Brüdern zu arbeiten ist mein großer Durchbruch. Wenn dieser Film in die Kinos kommt, kann ich meinen Tagesjob aufgeben. Dann brauche ich nicht mehr Taxi zu fahren.«
Mara lächelte ihn zögernd an. »Was wollen Sie denn sonst noch hier drin verändern?«, fragte sie vorsichtig.
Rudi betrachtete das Kaminsims und ließ seinen Blick über die Sammlung von afrikanischen Schnitzereien und Perlenhalsschmuck der Massai gleiten. »Jede Menge. Ich habe gerade erst angefangen.«
Mara war klar, dass sie ihm eigentlich auf der Stelle sagen müsste, er solle aufhören. Aber sie brachte die Worte nicht über die Lippen – und nicht nur, weil Rudi einen erstaunlichen Enthusiasmus an den Tag legte. Nein, eigentlich empfand sie eine schuldbewusste Freude über das, was er tat. Seit sie hierhergekommen war, hatte sie schon häufig das Bedürfnis gehabt, in Raynor Lodge etwas zu verändern.
»Nun, Sie müssen hinterher alles wieder in den Originalzustand versetzen«, sagte sie schließlich.
»Ja, sicher, kein Problem. Das machen wir immer«, antwortete Rudi. Die Worte kamen ihm so leicht über die Lippen, als ob sie für ihn bedeutungslos wären. »Tolles Frühstück übrigens. Puh!« Er stieß die Luft aus. »Das Omelett war
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