Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
durch frischen Fisch und Wild ergänzen konnten. Und für den ersten Abend ihrer Flitterwochensafari hatten sie eine Flasche Champagner dabei. Mara blickte sich um. Vielleicht lag ja irgendwo noch ein Stück Folie, die sie vom Flaschenhals abgeschält hatte, oder auch das Drahtgitter um den Korken …
Wahrscheinlich wäre es besser, jetzt zu gehen; sich umzudrehen und in der Sonne auf die anderen zu warten. Aber die Schatten hinten in der Höhle zogen sie magisch an. Dort hinten war ein noch schwärzerer Fleck.
Als sie ihn erreichte, hockte sie sich hin und blickte angestrengt auf die Wand. Es war zu dunkel, um etwas sehen zu können.
Aber sie wusste, was dort war.
Als sie und John ihre Rucksäcke abgelegt und die müden Muskeln ihrer Schultern gestreckt hatten, machte John mit ihr eine Besichtigungstour durch die Höhle. Stolz zeigte er ihr die hohe Decke, den glatten Boden, auf dem eine ganze Familie Platz gefunden hätte, und die praktischen, natürlichen Regale und schrankähnlichen Nischen in den Wänden.
»Es erinnert mich an ein Buch, das ich als Kind gelesen habe«, sagte Mara. »Es hieß Sie fanden eine Höhle . Es hat in Tasmanien gespielt, aber die Höhle war so ähnlich wie diese hier.«
»Gab es dort auch ein Geheimzimmer?« John war nach hinten in die Höhle gegangen und hatte sich hingekniet. »Schau mal hier hinein.« Er reichte Mara die kleine Taschenlampe, die er in die Tasche seiner Buschjacke gesteckt hatte.
Mara ließ sich auf alle viere nieder und spähte hinein. Es war ein Raum, der gerade groß genug war, dass eine Person darin stehen konnte. Als das Licht der Taschenlampe über die Wände glitt, entdeckte sie etwas. Sie hielt den Atem an. Es war eine Pinselzeichnung aus rotem Ocker: das Bild eines Elefanten. Er hatte große, gebogene Stoßzähne wie ein Mammut.
»Weiß sonst noch jemand davon?«, fragte sie John.
»Nur ich. Und jetzt du.«
Mara hielt die Taschenlampe näher an das Bild. »Vielleicht solltest du jemandem davon erzählen. Es sieht so aus, als ob es sehr alt wäre.«
»O ja, das ist es«, erwiderte John. »Ich war erst sechzehneinhalb, als ich es gemalt habe.«
Mara drehte sich zu ihm um. »Du nimmst mich doch auf den Arm, oder?«
John schüttelte den Kopf. »Wenn du auf das Bord darüber schaust, siehst du meinen Pinsel.«
Es stimmte. Mara konnte den grünen Griff eines Malerpinsels erkennen.
»Aber es sieht genauso aus wie eine alte Felsmalerei«, protestierte sie. »Ich habe schließlich in einem Museum gearbeitet. Ich weiß, wie sie aussehen.«
John grinste sie an. »Ich wusste das auch. Ich habe genauso eine Zeichnung im National Geographic gesehen.«
Mara lachte. »Hast du das aus Spaß gemacht?«
Eine Spur von Unsicherheit huschte über Johns Gesicht, so als ob er sich plötzlich ertappt fühlte. »Nein, eigentlich nicht. Ich fand nur, dass es dorthin gehörte. Die Höhle wirkte dadurch so … so bewohnt.« Er wandte sich ab, und die letzten Sonnenstrahlen legten weiche Schatten unter seine Wangenknochen.
»Bist du oft hierhergekommen?«, fragte Mara.
John nickte. »Immer, wenn ich frei hatte und Raynor mir den Landrover gegeben hat.«
»Warst du denn immer allein hier?«
»Sonst hatte niemand Zeit, einfach nur zum Spaß durch die Gegend zu laufen«, erwiderte John. »Und ich hätte eigentlich auch etwas anderes zu tun gehabt.«
Mara studierte das Bild erneut. Sie stellte sich vor, wie John als Teenager hier draußen ganz allein daran gearbeitet hatte. Zärtlichkeit für ihn stieg in ihr auf und erfüllte sie mit Traurigkeit und Wärme zugleich. Sie trat zu ihrem Mann und schlang die Arme um ihn. Sie war fast so groß wie er, und so standen sie eng umschlungen da, Wange an Wange. Das war neu und fremd für sie beide. Als Mara in Tansania angekommen war, hatten sie sich aufgeregt begrüßt. Aber bald schon waren sie eher verlegen miteinander umgegangen, weil sie ständig unter Beobachtung standen – in Kikuyu und in der Lodge. Selbst in Johns Schlafzimmer hatte Mara nicht das Gefühl, mit ihrem Mann allein zu sein. Der Geist der Raynors schien stark und nahe.
Mara schmiegte sich eng an John, als wenn sie dadurch die Vertrautheit ihrer Briefe erhalten könnte, die Freundschaft, die in den Monaten, in denen sie sich geschrieben hatten, zu Liebe geworden war. Vielleicht konnten sie ja hier draußen die Leichtigkeit dieser Zeit wiedergewinnen, dachte sie.
»Hast du dich denn nicht einsam gefühlt?«, fragte sie. »Du warst doch so oft
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