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Roter Hibiskus: Roman (German Edition)

Roter Hibiskus: Roman (German Edition)

Titel: Roter Hibiskus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Scholes
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allein.«
    Johns Körper verkrampfte sich. Sie löste sich von ihm und schaute ihn an. Sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab, als er schluckte.
    »Daran war ich gewöhnt – vom Internat.«
    »Warum haben deine Eltern dich denn so weit weggeschickt?«, fragte Mara. John hatte ihr in einem seiner Briefe erzählt, dass er mit zehn Jahren ins Internat nach England geschickt worden war. »Gab es denn in Ostafrika keine Schulen für Europäer?«
    »Doch, einige.« John wandte sich ab und blickte zur Öffnung der Höhle. Von dem Felsvorsprung aus konnte man weit ins Tal hineinsehen. Es lag schon im Abendschatten, aber am Morgen, hatte John gesagt, würde es ein Anblick sein, an den sie sich ihr ganzes Leben lang erinnern würde.
    Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich, und die Geräusche draußen schienen auf einmal laut zu sein. Die Vögel kreischten, und man konnte Flügelschlagen hören, wenn sich Neuankömmlinge in den Baumwipfeln ein siche res Plätzchen für die Nacht suchten. Nicht weit von ihnen entfernt lachte eine Hyäne.
    »Bitte, sprich mit mir, John«, sagte Mara. »Ich möchte mehr über dich wissen.«
    John warf ihr einen unsicheren Blick zu.
    »Ich möchte alles über dich wissen.« Mara lächelte ihn ermunternd an. Über sein Gesicht huschten widerstreitende Gefühle, aber schließlich entschloss er sich doch zum Reden.
    »Als ich zehn Jahre alt war, hatte meine Mutter eine Affäre mit einem britischen Army-Offizier. Es gab einen großen Skandal, und er wurde nach Indien versetzt. Sie ging mit ihm. Eines Morgens packte sie einen Koffer, küsste mich auf die Stirn und fuhr fort. Ich rannte hinter ihrem Auto her, aber sie hielt nicht an.« John sprach in kurzen Sätzen, als ob es dadurch weniger schmerzlich für ihn wäre. »Mein Vater wurde mit der Schande nicht fertig. Er nahm einen Posten an der Landesgrenze an, wo man kein Kind mitnehmen konnte. Deshalb war es auch egal, wohin sie mich zur Schule schickten. Ich hatte sowieso kein Zuhause mehr, in das ich zurückkehren konnte. Ich verbrachte alle meine Ferien in England – ich blieb einfach auf Harnbrook Hall. Sogar an Weihnachten. Da lud die Frau des Direktors mich immer zum Tee ein.« Er lachte bitter auf. »Sie hatte ständig Angst, ich könnte etwas kaputt machen.«
    Mara starrte John entsetzt an. Sie dachte an ihre Weihnachtsfeste zu Hause: die chaotischen Familientreffen in einem Haus, das aus allen Nähten platzte; gebratener Truthahn auf unterschiedlich hohen Tischen, die einfach zusammengeschoben worden waren; das Kricketspiel nach dem Mittagsschlaf, an dem alle, Alte und Junge, teilnahmen. An Weihnachten war selbst Maras Vater in Feierlaune, und auch ihre Mutter wirkte, umgeben von Gästen, glücklich und zufrieden. Mara spürte förmlich die Kälte einer winterlichen englischen Weihnacht in der hallenden Leere der verlassenen Schule. Der Gedanke daran, dass John dort als kleiner Junge ganz allein gewesen war, schnürte ihr die Kehle zu.
    »Als ich sechzehn Jahre alt wurde«, fuhr John fort, »schickte meine Mutter mir Geld, damit ich sie in Indien besuchen konnte. Ich ging ins Reisebüro, um mir ein Ticket nach Bombay zu kaufen. Aber dann änderte ich meine Meinung und fuhr stattdessen nach Kenia.« John hockte sich neben die Feuerstelle und begann Zweige zu zerbrechen, die er auf dem Weg in die Höhle gesammelt hatte. »Ich bekam einen Job im Muthaiga Club in Nairobi, wo ich die Gäste begrüßte und überall aushalf.« Er lächelte Mara schief an. »Auf Harnbrook Hall hatten sie mir beigebracht, mich wie ein Gentleman zu benehmen und auszudrücken. Das gefiel den Leuten im Club.«
    John häufte die Zweige zu einer kleinen Pyramide in der Mitte der Feuerstelle auf. Mit einem Streichholz entzündete er trockenes Gras, das er unter die Zweige gelegt hatte. Er hockte sich dicht davor und pustete so lange, bis eine bläuliche Flamme aufstieg.
    »Wie bist du zu Raynor gekommen?«, fragte Mara und setzte sich zu ihm ans Feuer.
    »Ich habe ihn im Club kennengelernt. Er saß auf der Veranda und wartete auf einen Kunden. Damals durften professionelle Jäger noch nicht in den Club. Als ich ihn dort sitzen sah, war mir klar, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, obwohl er Anzug und Krawatte trug. Er hatte einfach so eine Ausstrahlung. Er war sehr ruhig, sehr aufmerksam. Ich ging zu ihm und fragte ihn: ›Sind Sie Jäger?‹ Er sagte: ›Ja.‹ Und da fragte ich ihn, ob ich bei ihm in die Lehre gehen könnte.« John blickte Mara an. Sein Blick

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