Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
»Ich dachte, sie hätte vielleicht ihre eigene Flasche Gin in der Hütte«, fuhr Kefa fort. »Es ist ihre dawa. Sie muss sie haben.«
»Ja, das stimmt«, sagte Mara, »aber zu viel dawa ist schlecht. Sie hatte zwei Flaschen in der Hütte, aber Carlton hat sie ausgeschüttet.«
Einen Moment lang schwiegen sie beide. Dann liefen sie wie auf ein Stichwort zum Parkplatz.
Sie sahen gleich, dass einer der Manyala-Landrover fehlte.
»Sie muss gestern Abend nach Kikuyu gefahren sein«, sagte Mara entsetzt. Selbst die Europäer, die hier lebten und mit den Straßen vertraut waren, versuchten, sich nach Einbruch der Dunkelheit möglichst nicht mehr draußen aufzuhalten – vor allem in diesen unsicheren Zeiten seit der Unabhängigkeit. Und wenn sie schon in der Nacht fahren mussten, dann taten sie es nie allein. Es war undenkbar, dass eine Frau allein in der Dunkelheit unterwegs war.
»Wahrscheinlich ist sie im Hotel«, sagte Kefa. Er klang ruhig, aber auf seinem Gesicht spiegelte sich seine Nervosität. Selbst im Hotel war eine Frau allein nicht sicher – vor allem nicht, wenn sie betrunken war.
Mara schlug die Hände vors Gesicht und versuchte nachzudenken. Wenn das Funkgerät funktionieren würde, hätte sie Kontakt mit der Polizeistation in Kikuyu aufnehmen und um Hilfe bitten können. Aber sie hatte es ja auf Carltons Bitte hin nicht reparieren lassen. Jetzt machte sie sich bittere Vorwürfe deswegen. Sie war schließlich diejenige, die für die Lodge und ihre Bewohner verantwortlich war. Sie hätte dafür sorgen müssen, dass sie für Notfälle gerüstet war … Aber das half ja jetzt alles nichts. Entschlossen drehte sie sich um. »Ich hole Carlton. Und dann fahren wir sofort los.«
Kefa wies auf den gestreiften Landrover. »Ich hole die Schlüssel.«
Mara schüttelte den Kopf. Sie zog es vor, in ihrem eigenen Wagen zu fahren, vor allem, wenn sie es eilig hatte.
»Aber wir sind nicht nur drei Personen«, sagte Kefa. »Wir müssen den Spurenleser mitnehmen.« Mara riss erschreckt die Augen auf. Er breitete die Hände aus. »Wir müssen auf alles vorbereitet sein.«
Mara nickte. Er hatte recht. Das war eine der ersten Regeln auf Safari. Auf alles vorbereitet sein. »Sollen wir Daudi mitnehmen?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte Kefa fest, »das ist unsere Sache.« Er schwieg. »Und wenn es ein Problem gibt, wird er sehr wütend sein.«
»Du hast recht«, stimmte Mara ihm zu. »Wir nehmen die Sache selbst in die Hand.«
Der Spurenleser kniete halb auf dem Beifahrersitz und spähte durch die Windschutzscheibe. Ab und zu streckte der alte Mann einen verkrümmten Finger aus und wies auf den Straßenrand, wo gelegentlich Sandhaufen über dem hartgebackenen murrum lagen.
»Ich sehe sie wieder«, sagte er dann. Es fiel ihm nicht schwer, die Spuren des Manyala-Landrovers zu erkennen: Sie waren scharf und sauber, weil sie von brandneuen Reifen stammten.
»Sie fährt sehr schlecht«, kommentierte er und bewegte seine Hand in einer Schlangenlinie durch die Luft.
»Es war dunkel«, sagte Mara.
Der Spurenleser schüttelte den Kopf. »Nein, es war hell. Der Mond war groß. Sie konnte etwas sehen.«
»Aber sie ist nicht an solche Straßen gewöhnt«, antwortete Mara. Sie war froh, sich mit dem Mann unterhalten zu können, weil das die Spannung, die in der Luft lag, verringerte. »In der Stadt, wo sie wohnt, sind die Straßen aus Asphalt. Und nachts gibt es dort Licht an hohen Stäben.«
Verwirrt schwieg der Spurenleser und versuchte, aus ihren Worten schlau zu werden. Mara blickte in den Rückspiegel zu Carlton, der neben Kefa auf der Rückbank saß. Er hatte in der halben Stunde, seit sie unterwegs waren, kaum etwas gesagt, aber seine fest zusammengepressten Lippen verrieten seine Nervosität. Mara wusste, dass er sich wirklich Sorgen um Lillian machte. Und er fühlte sich verantwortlich für ihre Sicherheit. Als ob er spürte, dass Mara ihn beobachtete, blickte Carlton auf und begegnete ihrem Blick im Rückspiegel. Mara versuchte, beruhigend zu lächeln. Höchstwahrscheinlich würden sie Lillian wohlbehalten im Kikuyu Hotel antreffen. Sie würde im Speisesaal sitzen und die neueste Ausgabe des East African Standard lesen. Mara dachte daran, wie sie mit John am Morgen nach ihrer Hochzeit gefrühstückt hatte – der trockene Toast, der mit roter oder gelber Marmelade serviert wurde, die keinerlei Fruchtanteil zu enthalten schienen; die halb geschmolzene Butter und die viel zu harten Eier. Mittlerweile war das
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