Roter Staub
Die Söldnerin sah ihn gleichfalls und
verschwamm in den Hypermodus.
Lee hob Chen Yao auf und lief um sein Leben.
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55
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Das Haus des Gouverneurs stand von einem Ende zum anderen in
Flammen. Kavallerie jagte um die ruinierten Gärten, schoß
in die Flammen. Einer ritt direkt auf Lee zu, und er ging wieder in
den Hypermodus. Mit Chen Yao in den Armen rannte er eine Straße
hinab, an der sich verrammelte Geschäfte entlangzogen. Am
anderen Ende war eine Barrikade aus ineinander verkeilten Kisten,
Möbeln und Türen errichtet worden. Wu Lin setzte über
die Spitze und raste die Straße hinab, traf Lee gerade, als der
verlangsamte.
Die überlebenden Anführer des Aufstands hielten ihre
letzte Stellung jenseits der Barrikade, um das Hebewerk herum und
hinab zur Ebene des Himmels. Lee sah, wie ein Drachen in Ketten die
Kieferknochen aufriß, um den Schwarzen Drachen zu
verschlingen, aufgerichtete Wellenbrecher, Masten und alles. Ketten
rasselten vorüber, jede so dick wie Lees Oberschenkel. Das
Geräusch abfließenden Wassers vermischte sich mit dem
fernen Gewehrfeuer und dem schrillen Kreischen von Dampf, als sich
die Wiege um den Schwarzen Drachen schloß.
Redd nahm Lee Chen Yao aus den Armen. Sie war bewußtlos, und
Schrammen zeigten sich allmählich auf ihrer Stirn und am Hals.
Der Cowboy war rußverschmiert, und eine Seite seines Gesicht
war so rot wie Staub versengt.
Verschiedene Teile von Lees Körper begannen, mit
unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu zittern, als er damit anfing,
aus der erweiterten Periode des Hypermodus herunterzuschalten. Die
Zeit verstrich zitternd, ruckartig. Er lag auf dem Boden, einen
Beutel am Arm befestigt, der ihm Glukose-Kochsalz-Infusionen in den
Blutstrom pumpte. Jemand sprach ihn an, ging davon. Lee spielte es
nochmals durch: Redd, der sich über ihn beugte und sagte:
»Halt durch da drin, Billy Lee, wir werden dich hier
rausbringen, sobald wir können.« Seine Muskeln spannten und
entspannten sich, drehten abwechselnd jedes Gelenk in Beinen und
Armen. Seine Finger tippten einen stakkatohaften Code.
Redd kam zurück. Lee setzte sich auf und wäre fast in
Ohnmacht gefallen.
»Achtung, Partner. Nichts mehr jetzt zu tun, als
davonzulaufen. Du kannst dich ebensogut wieder hinlegen.«
Lee schälte den geleerten Beutel vom Arm, wischte das
venöse Blut ab, das beim Wegziehen austrat. »Wie schlimm
steht’s?«
Redd fächelte sich mit seinem Hut zu. In dessen Krempe war
ein angesengtes Loch. Er sagte: »Sie haben uns in zwei
Hälften getrennt. Die Truppen der Garnison halten ihre Stellung
auf den Dächern, aber sie sind umzingelt. Die ganze Stadt
brennt, und wir haben nur noch das Hebewerk.«
»Das beste, was wir uns erhoffen konnten«, sagte Lee. Er
horchte auf das Geräusch von Explosionen, das näher kam wie
die Fußtritte eines Riesen.
»Du warst der letzte, der durchgekommen ist«, sagte
Redd. »Chen Yao wird okay sein. Dickschädeliges kleines
Mädchen. Soldat ist tot – ist mit dem Kopf voran in die
heranjagende Kavallerie gegangen. Wir…«
In diesem Augenblick fing das Wasser in dem Kanal, das zum
Hebewerk führte, Feuer.
Alles ging zur gleichen Zeit in die Luft, schlagende Flammenzungen
stiegen höher als die großen Kabeltrommeln oberhalb des
Hebewerks. Redd und Lee wandten gerade rechtzeitig den Kopf, um Mary
Makepeace Gaia durch die Flammen stürmen zu sehen. Lee sprang
auf und wäre fast wieder gestürzt. Jemand packte ihn am Arm
und sagte: »Laß mich dein Geschenk benutzen,
Bruder.«
Es war Wu Lin.
Ehe Lee etwas sagen konnte, küßte sie ihn und lief auf
die Söldnerin zu, eine Silhouette gegen die schlagenden Flammen.
Sie lief rascher und rascher, verschwamm in der Hypermodus: die Viren
hatten bereits ihre Muskulatur und das Nervensystem justiert.
Der rechte Arm der Söldnerin war verbunden, aber als sie in
den Hypermodus ging, schien das kaum etwas zu zählen. Sie und Wu
Lin wirbelten umeinander her, aber während Wu Lin mit der
übermenschlichen Geschwindigkeit der Söldnerin Schritt
halten konnte, hatte sie der ausgefeilten Technik der anderen nur
ihre Tapferkeit entgegenzusetzen.
Die reichte nicht aus. Die Söldnerin brach Wu Lin den rechten
Arm, trat die Beine unter ihr weg, setzte ihr einen Stiefel auf die
Kehle. »Komm her zu mir!« rief die Söldnerin.
»Komm her zu mir, Wei Lee, und ich schwöre, ich werde diese
hier verschonen!«
Lee kreischte und wollte loslaufen, doch Redd zog ihn herum, und
Lee merkte, daß er zu
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