Roter Staub
sich
ein Meer roten Staubs. Das kleine Schiff – es war eine
Skimmer-Gig – lief vor dem Wind. Sanft anschwellende Wellen
marschierten über die Oberfläche des Staubs, jede genau von
derselben Form und Höhe wie die nächste, begrenzt von einer
schmalen Schattenlinie auf der dem Schiff zugewandten Seite. Noch
während Lee, benommen und verwirrt, träge vom Gewicht des
Bewußtseins, hinsah, erreichte die Sonne die Mittagshöhe.
Schattenlinien verschwanden über der Schüssel des
Staubmeers. Wellenkämme oszillierten in Streifen von leicht
strahlenderem Rot über der glühenden roten Oberfläche,
bildeten benommen machende moirierte Muster. Eine schwache Gischt
dampfte von jedem Wellenkamm in die Höhe. Obgleich sich ein
durchsichtiger Schutzschild um das gepolsterte Raumdeck wölbte,
wo er saß, spürte er den vom Wind hereingeblasenen Staub,
der ihm auf den Händen stach.
Der Computer gab universelle Netzkoordinaten. Lee nahm an,
daß seine Neuverdrahtung dies in eine aereographische Position
übersetzen könnte, aber gerade jetzt wollte er keine seiner
neuen Talente aufrufen. Virengespeicherte Erinnerung war ein
bedeutungsschweres Gewicht in seinem Kopf, und er glaubte, er
könnte eine sofortige Erfassung des schrecklichen Augenblicks
nicht überstehen, nachdem die Friedenstaube auf den Schwarzen
Drachen in seiner absteigenden Aufzugswiege hinabgestoßen
war.
Er sagte zum Computer: »Mach für mich doch Sinn
daraus.«
»Wir segeln ostnordostwärts, auf die Meerenge zu, welche
die Ebene des Himmels mit der Ebene des Gartens der Ewigen Seligkeit
verbindet. Wir segeln seit zwei Tagen, vier Stunden, und die
geschätzte Ankunftszeit ist in acht Tagen, fünfzehn
Stunden.«
»Was haben wir für ein Ziel?«
»Ich würde bevorzugen, eine Frage nach der anderen zu
beantworten. Mein Prozessor ist nicht so, wie ich es gern
hätte.«
»Tut mir leid«, sagte Lee und kam sich töricht vor.
Dies war schließlich nur eine Maschine. Er sagte: »Es
spielt keine Rolle. Ich weiß, wohin wir fahren.«
»Spreche ich jetzt zu der Frau?«
»Du sprichst mit mir. Da ist noch jemand an Bord?«
»Nun, in gewisser Weise«, sagte der Computer, und dann
entsann sich Lee an Miriam Makepeace Mbele.
Der Computer sagte in einem mürrischen, pedantischen Tonfall:
»Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn ich
erklärte…«
»Du bringst mich zum Tigerberg.«
»Auf gut Glück geraten.«
»Nicht im geringsten. Besteht eine Möglichkeit, dieses
Cockpit zu schließen?«
»Frische Luft ist gut für dich.«
»Wenn das bedeutet, daß du es tun kannst, dann
tu’s bitte.« Die Maske war aufreizend heiß und eng
auf seinem Gesicht, aber wenn er sie abnähme, schluckte er die
stauberfüllte Luft.
Die durchsichtige Kabinenhaube glitt um ihn herum in die Höhe
wie der sich schließende Kelch einer Blume. Es gab einen
Luftstrom, und er fing an, an den Riemen seiner Maske
herumzufummeln.
»Hab bitte Geduld«, sagte der Computer. »Es ist
notwendig, die Luft auszutauschen und zu filtern.«
Lee wartete.
»Jetzt ist es sicher, aber tu dies bitte nicht zu oft«,
sagte der Computer. »Meine Ressourcen sind begrenzt.«
Sobald er die Maske abgenommen hatte, kratzte sich Lee heftig die
Striemen, welche die Verschlüsse unter dem Kinn, an den
Kieferknochen und am Haaransatz hinterlassen hatten. Der Computer
sagte: »Ich kann etwas zu essen bereiten. Meine
Koch-Untereinheiten sind sehr geschickt. Taube in
Zwetschgensoße, vielleicht, oder…«
»Bitte, sei ruhig. Ich möchte nachdenken.«
»Die letzten beiden Tage hast du von rohem Papp gelebt«,
sagte der Computer. »Ich habe nur an deine Gesundheit
gedacht.« Er hörte sich verletzt an.
»Später«, sagte Lee. »Jetzt muß ich
nachdenken.«
Es gab eine winzige Toilette. Lee leerte und säuberte die
Sanitärvorrichtungen seines Anzugs und wischte das ab, was zwei
Tage darin zu leben bedeutet hatte. Dann tat er eine lange Zeit
nichts weiter, als sich nackt auf dem Sofa mit echtem Fell im Heck
der kleinen Gig auszustrecken. Sonnenlicht sank durch die
Kabinenhaube und durch seine Haut in die Knochen. Er sah zu, wie
Wellen von Staub in langen parallelen Reihen auf den Horizont
zumarschierten, wobei ihnen ihre Schatten jetzt vorausliefen. Die Gig
fuhr nur um weniges rascher als die Wellen, sie senkte und hob sich
glatt, während sie durch die weiche dichte Dünung
pflügte.
Splitter dessen, was geschehen war, wirbelten in seinen Gedanken
durcheinander. Es widerstrebte ihm, sie zusammenzusetzen. Er
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