Roter Staub
Chef-Techniker
der Freien Yankees hatte erfolglos versucht, auf den Computer Zugriff
zu nehmen, und er brüstete sich Lee gegenüber damit, wie
leicht es ihm gefallen wäre, ihre primitiven
Trojanisches-Pferd-Programme zu zerstören. Aber sie hatten seine
Kontrollkabel manuell abgetrennt, so daß er keinerlei Kontrolle
über irgendeinen Teil der Gig hatte, die auf den Eiland gehievt
und mit einem Dickicht stacheliger Kriechpflanzen getarnt worden
war.
»Selbst wenn ich jeden tötete, bin ich mir nicht sicher,
ob ich die Gig einrichten könnte«, sagte Lee. »Und
abgesehen davon möchte ich niemanden töten.«
»Sie sind Wilde«, sagte Chen Yao. »Sie zählen
nicht, nicht gegenüber einer ganzen Welt. Geh einfach in den
Hypermodus, Wei Lee. Zeig ihnen, daß sie Götter nicht wie
Sklaven behandeln können.«
»Früher oder später werden sie an Land gehen. Dann
werden wir fliehen, das verspreche ich.«
Chen Yao enthauptete ein Dutzend Tomatenpflanzen mit einem Schwung
ihrer Hacke. Sie rüttelte an der langen Kette, die zwischen den
Handschellen um die Gelenke schwang. »Das wird zu spät
sein!«
Und dann mußten sie zu reden aufhören, weil der
Hausverwalter gesehen hatte, was Chen Yao getan hatte, und er eilte
herbei, um sie auszuschimpfen.
----
64
----
Das Eiland fuhr am Rand einer Planktonblüte entlang, die dort
wuchs, wo tiefe Wirbelströme den Rand der Abschirmung des
Tigerbergs trafen und zur Oberfläche stiegen, wodurch sie
Feuchtigkeit aus dem darunterliegenden Permafrost mitbrachten.
Staubrochen, langsame Ungeheuer mit gekräuselten Schwingen von
fünfzig Metern Durchmesser, glitten über die
Planktonschwärme, wobei ihre borstigen Fühler hin- und
herschwangen und breite Wellen dunkleren Staubs hinter sich
zurückließen.
Einen Tag nachdem die Freien Yankees Redd, Lee und Chen Yao
gefangengenommen hatten, wurde die Spur eines Staubrochens gesichtet.
Bald darauf machte ein Aussichtsposten, der auf dem höchsten
Baum des Eilands angebunden war, die Freßfedern des Rochens
selbst aus, und die gesamte Bevölkerung quoll aus dem Nest und
kletterte an Bäumen und Bambusstämmen empor, im Versuch,
selbst einen Blick auf das Tier zu erhaschen. Sie betrachteten es als
ein günstiges Zeichen: Redd würde die rituelle Chance
bekommen, es zu töten und somit Grundbesitz zu erwerben.
Es war mitten am Nachmittag. Der klare rosafarbene Himmel
glühte wie Neon, und beide Monde standen am Himmel: Furcht
berührte eine Felsspalte gerade über dem westlichen
Horizont; Panik, ein Lichtchip, fiel ostwärts. Eine Art Schleier
hing über dem Staubmeer, und seine schwere Oberfläche war
von der Farbe geschmolzenen Kupfers. Schwerfällig rollten Wellen
auf den Tigerberg zu. Seine tieferliegenden Flanken waren in
Staubwolken gehüllt, aber seine flache Spitze war scharf und
deutlich und schien höher zu ragen als die beiden Monde. Die
Klippen seines ausgedehnten Lavafelds, sechs Kilometer hoch, waren so
nahe, daß Lee die hausgroßen Felsen erkennen konnte, die
in Haufen an ihrer Basis lagen, sowie die wettergegerbtenFalten und
Windungen, die sie über die ganze Höhe gitterförmig
durchbrachen. Aber sie hätten ebensogut auf einer anderen Welt
sein können.
Lee wollte, mußte entkommen. Ihn verlangte es danach, den
Tigerberg zu erreichen und seine Spitze zu ersteigen. Ein Teil davon
rührte von den Viren her und von Miriams teilweise vorhandener
Persönlichkeit, aber wenigstens zur Hälfte rührte das
Verlangen aus ihm selbst. Er hatte sich selbst gegenüber in
Ichun dieses Versprechen gegeben. Aber er würde nicht
töten, um dieses Versprechen zu halten; zu viele Menschen waren
bereits gestorben.
Die meisten der Freien Yankees befanden sich vorn im Nest, sie
sammelten sich wie eine Horde Affen in dem dichten Bambusdickicht.
Die größten Bambusstämme waren so dick wie Lees
Taille, und man hatte hoch droben schwarze Segel daran gehißt,
die sich in der jähen Brise spannten. Maskierte Kinder schwangen
sich durch die Webeleinen und kreischten vor Lachen.
Lee mußte sich unter einem Netz aus Halteseilen und -leinen
herumschwingen. Staub rieselte über sein zerrissenes Hemd und
die Jeans; Staub sammelte sich in den feinsten Hautfalten und
arbeitete sich durch die Verschlüsse seiner Filtermaske.
Während er an einem schiefen Bambusstamm hing, spähte er um
ein dichtes Gewirr aus Rentierflechte am Bug des Eilands herum. Eine
dunkle Straße lief über den roten Staub, breiter als das
Eiland. Es war die
Weitere Kostenlose Bücher