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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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erfüllt war vom
ruhelosen Heben und Senken des roten Staubmeers.
    In einer Nacht erhaschten sie einen Blick auf Lichter jenseits des
Rands der ansteigenden Klippen, kalte flackernde Morgenröten,
die bis zur Morgendämmerung spielten. Wenn das Schauspiel eine
Antwort auf einen Angriff seitens der Himmelsfahrer-Anarchisten war,
gab es davon keinerlei Anzeichen. Lee spürte ein brütendes
Schweigen, dessen Zentrum über seinem Kopf zu liegen schien. Der
Krieg erwartete ihn.
    In den langen Strecken der Nacht, während Redd und Vette
schliefen, hielt Lee mit Chen Yao Wache. Wie sie schlief er lediglich
zwei oder drei Stunden pro Nacht: die Viren hatten das Verlangen
herausgestrichen, oder es an irgendeinen Teil seines Gehirns
weitergegeben, der nicht vom Bewußtsein besetzt war. Lee
ließ die Erinnerung an sein Eindringen in die Traumlandschaft
auf der anderen Seite der Grenze hin- und herlaufen. Er besprach sie
mit Chen Yao, aber ihr Aspekt wußte weniger als er über
den Informationsraum und nicht das geringste über den
Himmel.
    Miriam Makepeace Mbele hatte ihm nicht gesagt, für wen die
Inseln der Seligen sein sollten, aber Lee hielt seine
Einschätzung für richtig. Sie waren für diejenigen
Menschen, die sich ihren Weg in den Tod hineingeträumt hatten.
Aber wo waren sie? Und falls dies das von den Conchies versprochene
Paradies war, warum war es auf der anderen Seite der Grenze?
    Chen Yao wußte es nicht, und der kopierte Rest von Miriam
Makepeace Mbele schwieg in seinem Kopf.
    Eines war sicher: Lee hatte sich verändert. Er war nicht der,
der er einstmals gewesen war. Das traf natürlich auf jeden zu,
der je gelebt hatte, aber bei denen war die Veränderung ein
Wachstumsprozeß. Menschen legten Schichten von Selbst an, wie
die Schichten einer Zwiebel. Lee wußte, daß er auf andere
Weise verändert worden war. Als wären seine Schichten
ineinandergewachsen und mit Schichten von anderen vermischt worden,
Miriam und ein Gast von geringerer partieller Persönlichkeit,
die in sein eigenes Selbst eingesunken und sich damit vermischt
hatten, wie sich Farbe mit dem Wasser mischt, das eine
Künstlerin benutzt, um ihren Pinsel zu säubern.
    Er wollte darüber mit Vette sprechen, als ein Versuch, sie
kennenzulernen, aber sie verstand es nicht oder gab vor, es nicht zu
verstehen. Sie sagte, es wäre Magie, und sie bräuchte nicht
zu wissen, wie Magie funktionierte, so lange sie sich darauf
verlassen könne.
    In den langen Stunden, während die Gig gegen den Wind halste,
sprachen sie alle vier von ihren verschiedenen Geschichten, ihrem
eigenen Leben, ihren Leuten, oder Lee oder Redd oder beide zusammen
sangen Song um Song – die alten Songs, die Lee von den Sendungen
des ›King of the Cats‹ erlernt hatte, die wehmütigen
Songs, mit denen die Cowboys ihre Herden beruhigten, sogar
Stücke aus Werbespots, die Vette mehr als alles andere
genoß. Sie arbeitete hart daran, ihre rudimentäre
Umgangssprache zu verbessern; Redd verbrachte geduldig Stunden damit,
sie Tonfall und Betonungen zu lehren.
    Schließlich erreichten sie an einem strahlenden wolkenlosen
Tag einen Landeplatz. Sonnenlicht spielte durch Staub, der die
Kämme weicher, langsamer Wellen peitschte, so daß die Luft
von Regenbogenfragmenten erfüllt zu sein schien. Weit
draußen auf dem Meer hoben sich die symmetrischen Spitzen der
Drei Schwestern über einen glitzernden Schleier, der unmerklich
in den schockierend rosafarbenen Himmel überging. Dahinter war
das Große Tal, und dahinter die ausgetrockneten Flüsse und
das chaotische Terrain der hohen Wüsten.
    Wenn man diesen ausgetrockneten Flüssen nordwärts
folgte, dachte Lee, wie er ihnen südwärts gefolgt war, so
fand man, daß sie ineinander verwoben waren, wenn sie hinaus in
Richtung auf die Ebene des Goldes liefen. Unterwegs käme man
durch eine kleine Siedlung, die geschützt in der Biegung eines
schlammigen, eingeschrumpften Flusses lag. Das Danwei von
Bitterwasser. Er hatte die Welt zu Dreivierteln umrundet.
    Und jetzt würde er aufwärts reisen. Zwischen den hohen
Klippen, die das ansteigende Lavafeld des Tigerbergs umgaben, klaffte
ein weiter, zusammengesackter Spalt. Von dort blies ein kalter Wind
heraus. Die Gig halste über unruhigen Staub auf den Landeplatz
zu, in den kalten Schatten der Klippen. Als sie alle an Land gegangen
waren, versprach die Gig, auf sie zu warten, und segelte dann davon,
um einen verborgenen Ankerplatz zwischen den Riffen jenseits der
Mündung dieser steilen Bucht zu

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