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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Marschrhythmus
fest: ebenso tat es Chen Yaos Aspekt. Aber Redd und Vette waren
lediglich Menschen.
    Das Land vor ihnen hob sich. Es war der Anfang des langen
Fünf-Grad-Hangs, der einundzwanzig Kilometer aus der
Atmosphäre hinausstieg, bis ganz hinauf zum Rand des Kraters. Im
hellen Sternenlicht sah Lee die Straße, die sich zu einer Linie
davonwand, zu einem Punkt. Wenn dort eine Falle wäre, würde
er sie gewiß sehen… aber der Hang war durchbrochen von
kleinen schmalen Tälern und Klippen und kreuz und quer
durchzogen von Streifen von Wacholderbüschen und
Himalaya-Pinien. Wann immer die Straße durch einen dieser
dichten Waldstreifen führte, flitzten ihre Verfolger von der
Straße, und sie beschleunigten allesamt den Schritt, bis sie
wieder offenes Gelände erreicht hatten.
    Als sie den größten Waldstreifen betraten, hatte die
Dämmerung die oberste Spitze des Berges berührt, so
daß sie aussah wie ein feuriger Fels, der Kilometer über
ihnen dahintrieb. Sie brauchten eine Stunde, den Streifen zu
durchqueren. Die Bäume waren verkrüppelt, doch sie wuchsen
zu beiden Seiten der Straße so eng beieinander, daß es
unmöglich war, nach vorn zu schauen. Lees Augen und Ohren,
soweit aufgedreht, wie es gehen wollte, schmerzten von dem
Bombardement aus Licht und Geräusch. Es gab kein Anzeichen von
ihren Verfolgern.
    Chen Yao stimmte zu. »Tiere«, sagte sie. »Sie
denken oder planen nicht.«
    Der Waldstreifen endete auf der anderen Seite ebenso abrupt wie
eine Messerklinge. Lees erhöhte Sinne brachen so jäh in
sich zusammen, daß er glaubte, er wäre taub und blind
geworden. Vette und Chen Yao halfen ihm zu einem kleinen Wildwasser,
das neben der Straße in seinem Bett aus schwarzem Fels sang. Er
spritzte sich eisiges Wasser über den Kopf und trank eine Menge
davon, die so groß zu sein schien wie sein eigenes
Körpergewicht. Vette stand auf einem umgekippten Felsbrocken und
beschattete sich die Augen, während sie den Weg
zurückblickte, den sie gekommen waren.
    Die Dämmerung war noch eine Stunde entfernt, aber für
Lee gab es bereits genügend Licht von den höhergelegenen
Hängen des Tigerbergs, um mit normaler Sicht die einzelnen
Farben voneinander unterscheiden zu können. Das Schwarz und Grau
der Felsen; das Blauschwarz der gefächerten Äste des
knorrigen kurzgewachsenen Wacholders; das Gelb von Vettes bauschiger
Hose und die etwas andere, hellere Schattierung ihres Haars, das ihr
lose über den Rücken ihrer schwarzen Tierhautjacke fiel.
Scharlachrote Troddeln hingen von dem geschnitzten Kopf ihrer Harpune
herab, lebhaft leuchtend gegen ihr bleiches Haar.
    Als Lee zu ihr trat, sah er, daß das, was er auf der anderen
Seite des Waldstreifens einfach bloß für ein weiteres Feld
mit Felsen gehalten hatte, in Wirklichkeit die Reste einer kleinen
Stadt unterhalb der Vorgebirge waren, die den teilweisen
Zusammenbruch des Hangs überstanden hatten. Sie befand sich
wenigstens zwanzig Kilometer die lange Kurve des Berghangs hinauf,
aber jedes der versprengten kleinen Häuser war scharf und
deutlich in der sauberen Luft zu erkennen.
    Chen Yao sagte: »Es wird leicht sein, sie zu meiden. Wir
folgen einfach der Straße.«
    »Sie könnten uns helfen«, sagte Lee.
    »Auf diesem Berg können wir niemandem trauen.«
    »Helden meines Volks suchen hier Abenteuer«, sagte
Vette, »aber niemand kehrt je zurück. Jetzt weiß ich,
weshalb.«
    Lange Zeit beobachteten sie die kleine Stadt, während sie
darauf warteten, ob ihre Verfolger noch immer hinter ihnen
wären. Die Dämmerungslinie kroch herab, während der
Horizont unter den starren Blick der Sonne fiel. Schließlich
kam Redd wieder den Pfad herauf und berichtete, daß er keine
Anzeichen von den kleinen Ärschen habe entdecken können. Er
drückte die gebissene Hand eng an den Bauch; sie war
angeschwollen und rot, kalkweiß um die halbmondförmige
Wunde.
    »Das klärt die Angelegenheit«, sagte Lee.
»Dort oben muß es medizinische Hilfe geben, also gehen wir
dorthin.«
    Chen Yao seufzte theatralisch. »Du kennst deine eigenen
Kräfte nicht, Wei Lee. Aber ich werde nicht mit dir
streiten.«
    Den größten Teil des restlichen Tages quälten sie
sich damit ab, die Stadt zu erreichen, wobei sie eher dem kleinen
Wildwasser statt der weißen Straße folgten, die in einem
Bogen davon wegschwang. Schließlich überquerten sie etwas,
das einstmals ein Flickenwerk kultivierter Felder gewesen war, die
durch Steinmauern voneinander abgetrennt waren. Das
ausgeklügelte

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