Roter Staub
suchen.
Alle sahen sie ihr nach, bis ihre Segel in vollem Licht
aufblitzten, als sie aus dem Schatten der Klippen hinausfuhr: ein
silbriger Funke, der in dem ruhelosen Meer aus rotem Staub kleiner
wurde.
»Hätt’ nie gedacht, daß ich das kleine
grämliche Biest je vermissen würde«, sagte Redd,
dessen Stimme durch die Filtermaske gedämpft wurde.
Vette schulterte ihre Harpune. Sie hatten sonst wenig zu tragen:
Pakete mit Trockennahrung und die wenigen Zehntelliter Wasser, welche
die Gig aus ihrem Destillierapparat abgeschöpft hatte. Sie
sagte, mit einstudierter Beiläufigkeit: »Wir
erkunden.«
Aber Lee wußte, obgleich ihr Gesicht von ihrer
gräßlichen Maske verborgen war, daß sie ebenso
angespannt war wie Redd.
Die Ruinen einer kleinen Hafenstadt liefen an einer Seite der
Bucht entlang, zumeist nicht mehr als Fassaden, die über die
Öffnungen von natürlichen Höhlen gebaut worden waren,
geschützt von einem riesigen Vorsprung, der den unteren Teil der
Klippen wegschnitt. Es war, als hätte die Stadt darum
gekämpft, aus den natürlichen Felsen aufzusteigen,
hätte jedoch nur halb damit Erfolg gehabt und würde jetzt
in die Auflösung zurücksinken.
Die Stadt war vor wenigstens einem Jahrhundert verlassen worden.
Dünen aus feinem Staub hatten sich innerhalb der Gebäude
angesammelt, an manchen Stellen hüfthoch. Alles Glas war aus den
Fenstern herausgebrochen und die in den Rahmen verbliebenen Scherben
waren von Stürmen milchig glatt poliert worden.
Redd fand die Überbleibsel eines riesigen
Monomolekular-Schirms, der wie die Membran einer Seifenblase
über die Mündung der größten Höhle
geglitten sein mußte; etwas hatte den fast unzerstörbaren
Stoff in Fetzen gerissen, und alles, was von der einfachen
Maschinerie übrig war, welche den Schirm bedient hatte, waren
die Umrisse ihrer Gleise. Nichts wuchs dort, nicht einmal Flechten,
und es gab keine Spur der ehemaligen Einwohner, keine Knochen, kein
einziges Möbelstück, keine einzige Scherbe eines
Schaltelements.
»Hinauf«, sagte Chen Yao ungeduldig. »Das ist der
einzige Weg.«
Es war Vormittag, als sie sich über die breite glatte
Straße auf den Weg machten, die einhundert
großzügige Kehren vollführte, während sie die
Zunge eines uralten Lavafeldes emporstieg, das den zugigen Paß
in die Klippen geschnitten hatte. Sechs Kilometer Anstieg bedeuteten
eine Wanderung auf gerader Strecke von einhundert Kilometern. Sie
benötigten drei Tage, ehe sie, hungrig und erschöpft, den
Gipfel erreichten.
Es dämmerte, und sie schlugen das Lager neben einem der rasch
dahinschäumenden Flüsse auf, die tiefe Kanäle in eine
Schicht von graubraunem Tuff geschnitten hatten. Das Wasser war sehr
kalt und hatte einen chemischen Beigeschmack, aber sie hatten nichts
sonst, um sich die Bäuche zu füllen. Da und dort wuchs
zäher Bambus und niedrige, windzerzauste Fichten, und Ausbisse
schwarzen Basalts waren gesprenkelt mit den strahlenden runden Thalli
wilder Hechten, aber es gab nichts Eßbares. Dennoch legte Lee
einige Drahtschlingen als Fallen aus: etwas, vielleicht
Eismäuse, hatte an den Flechtenkrusten geknabbert.
Später in dieser Nacht kam Vette zu ihm. Er hatte sich in ein
glattes schmales Loch in der Uferböschung neben dem
Straßenrand geschmiegt, und sie rutschte zu ihm herab,
hüllte ihn mit Armen und Beinen ein. Ringsumher heulte der Wind
und wimmerte unaufhörlich; kalte Luft, die unablässig von
den höhergelegenen Hängen des Bergs durch den Paß
herabströmte. Hinterher flüsterte sie auf Yankee:
»Darauf habe ich gewartet, seitdem du mir das Leben gerettet
hast. Macht es dir was aus?«
»Wenn ich dir das Leben gerettet habe, dann gehört mein
Leben dir.« Lee spürte, wie sich der Schweiß an
seinen Flanken abkühlte. Sie hatten sich nicht ausgezogen: dazu
war es zu kalt.
Sie lachte. »Komisch. Wir halten es anders herum.«
»Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich dir das Leben gerettet
habe.«
»Das hast du – und das von allen auf dem Boot. Wenn du
den Rochen nicht getötet hättest, wäre er auf den
Grund gesunken und hätte uns hinabgesaugt. Das ist das Zeichen
eines Helden. Sie tun instinktiv eine tapfere Tat und bemerken es
nicht einmal.«
»Ich bin kein Held, Vette. Wenn etwas, dann das Gegenteil.
Ich bin mit Gaben beschenkt worden, das ist alles, und viel zu oft
gebe ich damit an. Ich lerne allmählich, daß sie nicht
mein sind, um sie so zu benutzen, wie ich will. Wenn etwas, dann
benutzen sie mich.«
Er wußte, daß die
Weitere Kostenlose Bücher