Roter Staub
Sitz gehoben wurde. Von
der anderen Seite der kreisförmigen Metallkabine sah Mary
Makepeace Gaia spöttisch zu. Es war bereits klar, daß die
Kader sie mehr fürchteten als Lee.
Ein durchsichtiger Tunnel verband das Raketenschiff mit einem
hohen Turm. Sie fuhren in einem Aufzug hinab, Lee von den jetzt
schweigenden Kadern in eine Ecke gedrückt, Chen Yao in eine
andere. Ein Laufband trug sie einen langen Tunnel hindurch, und dann
folgte eine weitere Fahrt im Aufzug, zur Spitze eines anderen
Turms.
Es war der höchste Turm von allen, und seine Spitze war eine
durchsichtige Kuppel, die von dünnen Metallsäulen
gestützt wurde. Sie sah hinaus über die scharfen,
leuchtenden Spitzen von Türmen und zu Straßen, die sich
zum sternübersäten Himmel und dem weit entfernten Horizont
des südlichen Endes des Kessels hinaufschwangen. Ein Kader
wandte sich von dieser Aussicht ab, vollführte eine Geste. Die
Wächter gingen in Hab-Acht-Stellung und traten schneidig
zurück, so daß Lee, Chen Yao und Mary Makepeace Gaia vor
ihrer Reihe isoliert waren.
Der Kader studierte sie lange Zeit, die langen Finger hielt er vor
der Brust gefaltet. Sein Gesicht war nicht maskiert. Es hatte hohe
Wangenknochen und war blutleer, die Augen zusammengekniffen, die
Lippen zusammengepreßt. Er sah wie ein Schüler aus, dem
man ein interessantes, jedoch triviales Problem präsentierte,
etwas, das einen Augenblick Aufmerksamkeit erforderte, um seinen Wert
abzuschätzen, ehe es abgelegt werden konnte.
Er fragte: »Sind sie es, die Ihr erwartet habt,
Herr?«
Zwei Menschen traten aus den Schatten unterhalb einer der
verzierten Metallsäulen der Kuppel heraus. Der eine war der
Missionar von der Erde, Dr. Damon Lovelace. Der andere war Guoquiang.
Er war in Kaderuniform, und sein Kopf war geschoren und gesäumt
mit frischen roten Narben. Er war umgedreht worden.
Mary Makepeace Gaia verneigte sich steif vor Dr. Damon
Lovelace.
»Nun«, sagte er, »du mußt auch unseren
Verbündeten die Ehre erweisen.«
»Natürlich«, sagte Mary Makepeace Gaia
süß und verneigte sich vor dem Kader.
»Ich bin der Kader Nummer Zwei«, sagte der Kader steif.
»Der Kader Nummer Eins ist… unabkömmlich. Aber du
kannst zu mir sprechen wie zu ihm.«
»Ich möchte hier mit niemanden reden«, erwiderte
die Söldnerin, »sondern mit jenen, die dir deine Befehle
geben.«
»Wir haben unsere Pflicht«, sagte der Kader.
»Befehle sind nicht notwendig. Befehle erfordern Interpretation.
Da die Wahrheit nichts Absolutes ist, kann Interpretation zu falschen
Handlungen führen. Du wirst mir sagen, wie du uns kontaktiert
hast.«
»Nicht ich. Es war seine Idee.«
»Der übliche Weg«, stellte Lee fest. Er konnte
nicht aufhören, Guoquiang anzusehen, der stur geradeaus
blickte.
»Du lügst«, sagte der Kader. »Dieser Weg ist
verboten.«
»Davon wußte ich nichts. Ich hab’s einfach
getan.«
Chen Yao sagte: »Er ist gefährlich. Laß mich, ich
werde dir sagen, wie gefährlich er ist, und warum, und was du
dagegen unternehmen kannst.«
»Bravo«, rief Dr. Damon Lovelace, aber der Kader
überhörte ihren Ausbruch. Lee war sich gewiß,
daß er ihn tatsächlich nicht gehört hatte. Der Kader
sagte: »Beichten ist das höchste Gut.«
Lee wußte alles über die Mottos, welche die Kader
gebrauchten. Er hatte etwas darüber in Erfahrung gebracht, als
er versucht hatte, selbst etwas über seine Eltern
herauszufinden, ehe Xiao Bing den Bibliothekar für ihn gemacht
hatte, ehe er die Hauptstadt zum erstenmal verlassen hatte. Er hatte
die Transkriptionen von Hunderten von Streitsitzungen im Haus des
Namens der Allgemeinheit durchgelesen, wo jeder Leser eine
Erscheinung auf seiner oder ihrer Schulter hatte, wie ein Engel oder
ein Bewußtsein. In jeder Transkription waren die qualvoll
menschlichen Bitten der Angeklagten mit jener Art von Moral
beantwortet worden, die der Kader jetzt gebrauchte.
Lee konterte mit eigenen Mottos. »Wer ist imstande, mit dir
Kontakt aufzunehmen, wenn nicht jene, denen es gestattet ist? Wem ist
dies gestattet, wenn nicht jenen, die dazu autorisiert
sind?«
»Niemand ist autorisiert, wenn die Sterilität
aufrechterhalten werden muß. Wir sind hier frei von
Kontamination, weil die höchste Pflicht es erfordert.«
»Jene, die nur korrekte Handlungen kennen, brauchen
Kontamination nicht zu fürchten.«
»Das stimmt«, gab der Kader zu.
»Sehr gut«, sagte Dr. Damon Lovelace.
Lee sagte zu dem Erdenmann: »Wie kannst du es ertragen, den
Menschen soviel
Weitere Kostenlose Bücher