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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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wegzunehmen?«
    »Oh, es waren die Zehntausend Jahre, die dies getan
haben«, sagte Dr. Damon Lovelace leichthin. »Wir haben
ihnen die Technologie geleast; sie haben sie auf ihre eigene Weise
benutzt. Wir hätten Maschinen benutzt, nicht gehirnamputierte
Menschen, und wir hätten das Kontrollzentrum nicht auf diese
verwundbare Position gesetzt.« Er legte Guoquiang eine Hand auf
die Schulter. »Dieser Kader möchte dir eine Frage stellen,
Wei Lee. Wir glauben zu wissen, wer du bist, aber wir möchten
sichergehen. Es gibt mehr als einen von dir, siehst du. Ebenso, wie
es mehr ab einen von mir gibt.«
    »Ich verstehe.«
    Dr. Damon Lovelace sagte zu Guoquiang: »Stell deine
Frage.«
    Guoquiang trat vor, als wäre er auf einer Parade. Er blieb
zwei Schritte vor Lee stehen. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
»Ich…« sagte er. »Wer… ich…«
    Dr. Damon Lovelace umkrallte Guoquiangs Schulter mit der Faust und
drückte sie zusammen. »Stell sie!«
    »Wer? Wer fiel? Wer fiel in Staub, der kein Staub war? Wer
rettete ihn und wusch ihn sauber?«
    Lee erinnerte sich. Es war der Anfang von allem gewesen, und ihm
war das bis jetzt nicht klargeworden. Er entsann sich, wie sie alle
unter der wabernden Fontäne in der kalten Frühlingsluft
außerhalb der Feldkuppel Nummer Acht im Danwei von
Bitterwasser getanzt hatten. Er sah Guoquiang direkt in die Augen und
sagte: »Lin Yi fiel und hätte mich fast auch ertränkt,
als ich ihn rettete.«
    »Da«, sagte Dr. Damon Lovelace, »das war nicht so
schwer. Schon gut, Kader. Du bist entlassen.«
    Lee machte einen Satz nach vorn und küßte Guoquiang
voll auf die Lippen. »Ich vergebe dir«, sagte er.
    Mary Makepeace Gaia lachte und applaudierte dann leise.
    Guoquiang wandte sich ab, ohne sich auch nur Lees Speichel vom
Mund zu wischen.
    »Nun«, sagte Lee, »da ihr jetzt wißt, wer ich
bin, was wollt ihr von mir?«
    Dr. Damon Lovelace drehte sich um und schritt zum Fenster, die
Hände auf dem Rücken verschränkt. Eine volle Minute
lang sah er über die Spitzen der leuchtenden Türme hinweg,
ehe er das Wort ergriff. »Ich bedauere, daß es keine Zeit
mehr zum Reden gibt. Deine Verbündeten verursachen ein kleines
Ärgernis in den Himmeln, und das muß erledigt werden, ehe
wir dich dorthin schicken können, wo du gewünscht wirst.
Aber ehe meine Herren dich holen kommen, hoffe ich, daß ich die
Zeit haben werde, noch einmal mit dir zu reden.«
    Das Interview war beendet.

 
     

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75
     

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    Lee und Chen Yao waren in der Lage, während der Fahrt mit dem
Aufzug hinab einige Worte auszutauschen. »Ich habe Angst, Wei
Lee«, sagte Chen Yao. »Es hätte nicht so geschehen
sollen.«
    »Ist schon recht, wenn du Angst hast, Chen Yao. Ich hab’
auch Angst. Es ist nur menschlich, und das ist alles, was wir sind,
wirklich.«
    »Ich weiß. Deswegen habe ich Angst. Ich bin nie so sehr
eine Göttin gewesen, nicht wahr? Diese Leute machen mir Angst.
Sie sind nicht mehr länger menschlich; sie brauchen keine
Götter.«
    »Sie reden in Phrasen, weil sie sonst nichts zu wissen
brauchen«, sagte Lee. »Das ist nicht Angst erregend, es ist
traurig.«
    Als der Aufzug langsamer wurde, ergriff einer der Wächter
unerwartet das Wort. »Wenn die Leute ihre Verteidigungsanlagen
nicht kontrollieren, wie verteidigt sich die Nation dann
selbst?«
    »Wenn sich eine Nation gegen die eigenen Leute verteidigen
muß, ist es keine Nation«, sagte Lee.
    Der Wächter gab keine Antwort.
    Chen Yao und Lee wurden in entgegengesetzten Richtungen einen
weißen Korridor hinabgeführt. Die Kader ließen Lee
in einem großen, zum größten Teil leeren Raum
zurück. Hoffnungsvoll bat er die Tür, ihn hinauszulassen,
aber sie konnte sich nur entschuldigen: »Ich wünschte, ich
könnte es, Herr, aber es ist für dich am besten, du bleibst
hier.« Sie hatte eine trockene dünne Stimme: Lee stellte
sich einen alten, einfachen Mönch mit gesenktem Kopf vor.
    Der Fußboden war so ausgedehnt und glänzend leer wie
der eines Ballsaals. Ein Haufen scharfkantigen Mobiliars war in einer
Ecke gestapelt, und als der Junge hereinkam, kauerte Lee auf einem
Stapel Stühle und hantierte erfolglos an der glatten Verbindung
zwischen Decke und Wand herum.
    Lee rannte von einer Seite des Saals zur anderen und nahm dem
Jungen das Tablett aus der Hand. »Bleib da, während ich
esse«, sagte Lee. »Ich möchte mit dir reden.«
    Der Junge war sechs oder sieben und wie die übrigen maskiert.
Er sagte: »Ich weiß nicht, ob das erlaubt

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