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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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der Anarchistin dreimal sagen, was er wollte, ehe
sie verstand. Sie ließ sich von ihm auf die Füße
ziehen, und Lee schlang Plastik um sie, wie einen zerrissenen Umhang.
Seine Enden hoben sich in dem staubigen Wind, als sie auf die
große Drehtür der Kuppel zustolperten.
    Ruhige Dunkelheit, eine Nische geschützter Ordnung im Toben
des Sturms. Sie befanden sich auf einem breiten irdenen Ufer oberhalb
der überfluteten Felder, wo der Frühlingsreis wuchs. Lee
schwenkte die Taschenlampe überallhin und wäre fast aus den
Stiefeln gesprungen, als Xiao Bings Stimme rief: »Hier
drüben, Wei Lee!« Und Guoquiang: »Wer ist das bei
dir?«
    Ein Lichtstrahl deutete auf die Anarchistin. Sie starrte hinein,
nackt, abgesehen von zerrissenen Plastik und dem zusammengebackenen
Staub, der ihr an der dunklen Haut klebte. Sie sagte: »Ich
hoffe, dies sind deine Freunde.«
    Guoquiang war so schockiert, daß er einmal wenigstens kein
Wort sagen konnte. Lee sagte ihm, daß alles in Ordnung
wäre, daß die Sprachrohr-des-Volkes-Armee ihre Flucht
wollte. Xiao Bing grinste. Die silbernen Kappen über seinen
Augen waren in dem Glanz der Taschenlampen wie Funken. Er konnte
nicht damit aufhören, die nackte Anarchistin anzustarren. Er
sagte: »Wir sollten ein paar Kleider für sie besorgen,
meinst du nicht?«
    »Danke sehr«, sagte die Anarchistin ruhig.
    Sie war gelassen königlich in ihrem schmutzigen
Plastikumhang. Selbstbeherrschter als alle anderen, insbesondere Lee,
der zu Guoquiang sagte: »Du hättest es lediglich hier
zurücklassen sollen, hier anbinden und zurücklassen.«
Panik schlug in ihm hoch. Er sagte: »Erzähl mir nicht,
daß du’s nicht mitgebracht hast.«
    »Es ist hier«, sagte Guoquiang, »obgleich es Bings
Kopf zwei- oder dreimal fast abgebissen hätte.« Er legte
Lee die Arme auf die Schultern. »Wir werden mit dir gehen, Wei
Lee! Zur Hauptstadt, gleich jetzt! Wir können nicht bleiben, wir
wären als erste verdächtig, wenn du fehlst. Wir haben dir
geholfen, und jetzt wirst du uns helfen.«
    Die Anarchistin verschloß den Saum eines Khakihemds. Sie
mußte die Stulpen der Hosen aufrollen, und deren Bund beulte
sich über der Schnur, die sie als rohen Gürtel
zusammengeknotet hatte. Sie sagte: »Ihr müßt mir
jetzt alle zuhören. Obgleich eure Soldaten ihr Bestes gegeben
haben, mich unter Betäubung zu halten, war ich imstande, ihren
Bemühungen entgegenzutreten. Ich habe gesehen, was den
Wächtern zugestoßen ist, als die anderen wegen mir
gekommen sind. Ein Offizier hat sie erschossen, daraufhin die Pistole
hinter die rauchenden Teile ihrer Leichen geworfen. Er trug
Handschuhe…«
    Lee erinnerte sich an die Pistole, die ihm der Colonel in die Hand
gedrückt hatte. Fingerabdrücke. Er fühlte sich, als
fiele er durch die Dunkelheit, gleich dort, wo er auf dem weichen
Boden stand.
    »Der Offizier möchte, daß ich tot bin«, sagte
die Anarchistin. »Wenn er für jemanden arbeitet – und
ich glaube zu wissen, für wen er arbeitet –, hat er Angst
davor, daß ich die Wahrheit erzähle. Ich stelle mir vor,
daß Wei Lee der Bauer ist, der geopfert wird. Hierfür wird
man ihm die Schuld in die Schuhe schieben, und er wird bei seinem
Fluchtversuch getötet. Ebenso wie ich. Sie möchten,
daß ich fliehe, oh ja, aber die Flucht ist ein Vorwand, mich zu
töten. Darin liegt eine gewisse Nettigkeit, schätze
ich.«
    Guoquiang sagte zu Lee: »Wenn sie ihren Tod wollen, warum
haben sie sie zunächst geheilt?«
    »Nur eine illoyale Fraktion eurer Soldaten möchte meinen
Tod«, sagte die Anarchistin. »Die anderen führen
Befehle aus, um mich zur Hauptstadt zu bringen. Abgesehen davon haben
meine Viren den größten Teil der Heilung erledigt. Glaubt
mir!«
    Xiao Bing lächelte. »Haben wir dir nicht immer gesagt,
daß es gefährlich ist, die Himmelstraße zu nehmen,
Wei Lee?«
    Aber Guoquiang war nicht überzeugt. Er sagte: »Woher
wissen wir, daß die Anarchistin die Wahrheit sagt?«
    Das war, als die Kuppel zusammenstürzte.
    Lee sah es wie in einer Zeitlupenaufnahme. Die zerfetzte
weiße Blume der Explosion: Plastikscherben, die auf einem
Feuerball ritten. Dann lag er mit dem Bauch auf dem schlammigen
Boden, Staub und brennende Fragmente von Plastik flogen um ihn
herum.
    »Komm schon!« Jemand zog ihn auf die
Füße.
    Draußen waren Lichter, strahlend hell und unfokussiert. Wind
brüllte und brüllte durch ein gewaltiges Loch in der Kuppel
und erfüllte diese mit wirbelndem Staub.
    »Komm schon!« sagte Guoquiang erneut,

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