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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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halb am Rand des tanzenden Feuerscheins hin. Zwei Nadelstiche
des reflektierten Feuers leuchteten unter seinen schweren Brauen
hervor; die flachen breiten Nasenflügel schnüffelten, als
er Lee dabei beobachtete, wie dieser den Hasen häutete und
ausnahm.
    Der Kadaver des Hasen benötigte eine lange Zeit, um zu
braten, und er kam halb roh, halb angebrannt heraus. Aber Lee, der
abwechselnd Bisse vom Fleisch und von den stechenden Knoblauchknollen
tat, hätte zehnmal soviel wie seinen Anteil essen
können.
    Affe versuchte, Pemba zu füttern, doch der Mönch wollte
nicht essen. Seine Augen waren von einem weißen Film
überzogen. Ihm waren die Wangen eingesunken, und die Furchen um
die Augen hatten sich vertieft wie Sprünge in trocknendem
Schlamm. Die Haut seiner Hand war, als Lee sie nahm, um den Puls zu
fühlen, trocken und kalt, lose über spröden Knochen.
Sein flatternder Puls war rasch, schwach.
    Der Computer hatte mehr getan, als sein Gehirn neu zu verdrahten,
dachte Lee. Er hatte alle Mönche weit über ihre
natürliche Spanne am Leben erhalten. Er fragte sich, wie alt
Pemba eigentlich war. Er hatte von Schnee gesprochen, aber
außer an den Polen, wo niemand lebte, war über die letzten
beiden Jahrhunderte hinweg auf dem Mars kein Schnee gefallen. Und wie
alt waren Dorje und Nangpa gewesen?
    »Tut mir leid, junger Meister«, sagte Pemba und
schreckte damit Lee auf, der ihn anwies, sich auszuruhen. Aber Pemba
wollte seine Geschichte erzählen. »Ich habe die Berge
verlassen, weil ich einen Mann getötet habe, und ich bin ein
streunender Cowboy geworden und habe einen weiteren umgebracht. Mich
verlangte danach, ein Mönch zu werden, um mich von der
Blutschuld zu reinigen, ehe sich das Rad meines Lebens drehte, aber
die Götter haben für meine Bestrafung gesorgt. Ich war auf
dem Weg zur Hauptstadt, als ich in diesem kleinen Tal ausgeruht habe,
und wurde von Dorje und Nangpa gefangengenommen. Meister Norbhu war
gerade gestorben. Lange zuvor war die Kailas-Lamaserie verlassen
worden, von allen, außer ihrem Computer, und was einstmals der
Gemeinschaft der Lamaserie gedient hatte, sammelte jetzt eine
Gemeinschaft für sich selbst, zunächst, um die Lamaserie zu
retten, später jedoch, um sich selbst zu retten. Er wurde zum
Meister, jedoch ohne Herz, ohne Buddhismus. Er war eine Spinne, die
in ihrem Netz brütete, deren Gift in ihren gefesselten Opfern
wirkte, um sie weder tot noch lebendig zu halten. Unsere Herzen haben
sich verdunkelt, unsere Augen waren seine Augen, unsere Gedanken
seine Gedanken. Als meine Leute kamen, junger Meister, war Mars eine
Wildnis aus Felsen und Staub, ohne Atem oder Herz. Meine Leute haben
ihn zum Atmen gebracht; meine Leute haben ihm Leben geschenkt. Jeder
Fels und Stein ist heilig, denn sie sind durch die Wiederbelebung der
Welt verändert worden. Das Herz meiner Leute, ihre Seele und ihr
Lebensblut ist Buddhismus. Er hat ihnen durch die harten Jahre Kraft
gegeben, als der Mars grün wurde und nur eines von zehn Kindern
überlebte. Aber als die Wüsten erblühten und die Han
kamen, um das zu nehmen, von dem sie behaupteten, es sei das Ihre,
haben meine Leute das Herz verloren, und die Mönche vieler
Lamaserien haben die Disziplin verloren und ihre Orte verlassen.
Dennoch sagen sie, daß der Herr des Lichts, der Buddha der
Zukunft, der Maitreya Buddha, eines Tages auf das Antlitz des Mars
hinaustreten werde. Das hatte ich vergessen. Bis jetzt.«
    Pemba brauchte lange Zeit, dies zu sagen, und als er zum Ende
gekommen war, sprach er nicht mehr wieder, sondern wandte das Gesicht
den Schatten jenseits des Rings aus Feuerschein zu.
    Affe ließ eine verkohlte Keule bei Pemba zurück, wie
ein Opfer, und verschluckte die Eismäuse eine nach der anderen,
mit Haut und Haaren, wie pelzige Trauben. Lee schüttelte das
Tuch aus, das er mitgenommen hatte, einen prächtigen
Brokatstoff, welcher der Mantel eines schlangenhaarigen Dämons
gewesen war, hüllte sich darin ein, zog die Kapuze seines Chuba
herab und schlief ein.
    Es war sehr leicht zu schlafen, und es gab keine Träume.

 
     

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22
     

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    Er erwachte beim ersten Licht. Eine dünne Reifschicht lag
über dem Brokatmantel, und Reif lag auf der Spitze eines jeden
Grashalms der kleinen Wiese. Das Geräusch, das ihn geweckt
hatte, war Affe gewesen, der mit seinen großen nackten
Füßen auf die Erde klatschte und dabei einen klagenden
Laut von sich gab, während er Pemba wiegte.
    Der alte Mönch war tot. Sein trockener,

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