Roter Staub
eingeschrumpfter
Leichnam hätte schon hundert Jahre tot sein können. Als Lee
Affe sanft den Körper abnahm, fiel die Schulter des Tals vom
Antlitz der Sonne, und die Luft wurde von Licht erfüllt.
Lee half Affe dabei, den Körper mit Felssteinen zu bedecken,
und bedeckte die Felsen mit sandigem Boden und Rasenstreifen.
Über kurz oder lang würden ihn Schakale ausgraben, aber die
Geste war völlig menschlich. Affe stampfte die Rasenstreifen
fest und verneigte sich vor seinem toten Herrn, und dann machten sich
er und Lee das Tal hinab auf den Weg.
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Affe sprang an diesem Tag in immer größeren Kreisen vor
Lee herum. Sie stiegen die Hügelkuppe hinauf, die den Eingang
des versteckten Tals versperrte und gingen dann nach Norden in das
chaotische Terrain dahinter.
Dies war das Land, das den riesigen Fluß gespeist hatte, der
in verlorenen Zeitaltern das Rote Tal ausgeschnitten hatte, lang ehe
der Mensch zum Mars gekommen war. Begrenzte wasserführende
Schichten, von oben durch dickem Permafrost, von unten durch
Selbst-Verdichtung versiegelt, hatten hohe Drücke aufgebaut, die
schließlich zu Vorgebirgen ausgebrochen waren. Als das
Schmelzwasser in breiten Strömen verschwand, war das Land
über den wasserführenden Schichten zusammengesackt und
-gebrochen, ein Prozeß, der erst dann geendet hatte, als das
hydraulische Gefälle sich vermindert hatte. Wenn der Mars leben
sollte, müßten die Fluten wiederkommen.
Lee und Affe durchwanderten ein Labyrinth langer trockener
Täler zwischen niedrigen Hügeln, die
unregelmäßig in jede Richtung des Kompasses liefen.
Trockenes Gestrüpp wuchs an den Flanken der Hügel.
Kreosotbüsche und verkrüppelte Eichen; verdrehte
Wüstenpinien mit papierener Borke und lebendige Salzkörner
von Blattläusen wie lebhaft grüne Funken; Madia, Dornbusch,
Springkaktus, Roggen-Trespe. Die Täler waren ein Gewirr aus
riesigen Felsen oder ausgedörrten Zungen von
Alkalisalzflächen, durchbrochen nur von Büscheln von
Soldier-Gras.
Ein dünner kalter schneidender Wind ging über das Tal.
Affe bemerkte ihn anscheinend nicht, doch Lee war froh um den Chuba,
den er mitgenommen hatte, ein Gewand mit weiten Ärmeln und aus
schwerer brauner Wolle gefertigt. Er legte sich die Kapuze fest um
den Kopf und sah so genauso aus wie die toten Mönche, die er
zurückgelassen hatte.
Das Schweigen der Wüstenlandschaft des Mars, kaum
berührt vom Abschaum des Lebens, half ihm dabei, sich von seinen
Schuldgefühlen freizumachen. Er lernte, sein neu verdrahtetes
Nervensystem zu kontrollieren, und der ›King of the Cats‹
und seine Musik waren klar und nahe, während er so
dahinging.
In jener Nacht suchte Lee in dem verwitterten Schädel eines
Archiosaurus Schutz. Eines von Cho Jinfengs fehlgeschlagenen
Experimenten war die Erschaffung von Tieren gewesen, die unter der
niedrigen Schwerkraft des Mars größer geworden waren als
jedes Lebewesen, das jemals auf der Erde gelebt hatte. Aber die
Archiosaurier waren nicht in der Lage gewesen, sich an das sich
verändernde Klima des Mars anzupassen. Eismäuse und andere
kleine Säuger hatten sich an ihren Eiern gemästet, und
innerhalb eines Jahrhunderts waren sie ausgestorben.
Der Schädel war halb im Sand versunken, zur Seite gekippt wie
eine knochige Galeone, die in einem trockenen Meeresbett gestrandet
war. Er war von Sandstürmen geschliffen worden und von
Eisenoxiden fleckig. Gräser formten eine Mohikanerfrisur
über die Schädeldecke hinweg. Lee kampierte in dem halb
vergrabenen Kreis einer Augenhöhle. Er errichtete ein Bett aus
trockenen Gräsern in dem Kanal, der den Sehnerv enthalten hatte,
und machte ein Feuer aus Lärchenholz, das so trocken und alt
war, daß es fast versteinert war, machte es so hoch, daß
Funken in den sternübersäten Himmel flogen, wie neugeborene
Galaxien.
Affe saß am Rand der flackernden Schatten des Feuers; in
jener Nacht brachte er keine Nahrung. Ein paarmal, wenn Lee
aufblickte, war Affe verschwunden, aber das nächste Mal, wenn
Lee hinsah, war er wieder dort, als wäre er niemals
weggewesen.
Am Morgen jedoch war Affe auf Nahrungssuche. Lee vollführte
T’ai Chi-Übungen, um die Steife der frostigen Nacht
loszuwerden, und zertrat dabei die warme Asche seines Feuers,
während er die langsamen, fließenden Bewegungen
vollführte.
An diesem Tag warf er beim Gehen immer wieder aus dem Augenwinkel
Blicke auf Affes rotbraunen Körper, weit entfernt und sich rasch
bewegend. Aber als er hinsah,
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