Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
riechen komisch und verschrecken die Viecher«,
sagte Weißauge. Er lächelte Lee an. Die Hälfte seiner
Zähne fehlte; die restlichen waren geschwärzte
Stümpfe. Sein rechtes Auge bedeckte das Eis eines grauen Stars
– eine übliche Klage unter Cowboys, die den
größten Teil ihres Lebens draußen in dem
ultraviolett getränkten Sonnenlicht verbrachten. »Nichts
Persönliches, verstehst du«, fügte er hinzu.
    »Stehlen auch«, sagte ein anderer.
    »Er wird mit uns reiten«, sagte Falke und setzte seine
verspiegelte Brille ab.
    »Och, Falke…«
    Falke legte Lee einen Arm und die Schultern. »Er interessiert
mich. Und wir brauchen einen Ersatz für Stinkefuß, und ihr
alle wißt, was man über die Han sagt. Wir können ihm
vertrauen, was meinst du, Redd?«
    Redd hob die Schultern.
    Falke sagte zu Lee: »Du wirst einen Tageslohn erhalten, sagen
wir mal, zwanzig Yuan. Keinen Anteil am Gewinn, aber das kannst du
auch kaum erwarten.«
    Zwanzig Yuan pro Tag war etwa ein Zehntel dessen, was Lee in
Bitterwasser verdient hatte. Aber Geld war nicht der springende
Punkt. Der springende Punkt war der, daß Lees Urgroßvater
nicht von ihm erwarten würde, inmitten einer Herde Yaks in die
Hauptstadt zu reiten. Er sagte: »Abgemacht.«
    »Jemand gibt ihm was Tee«, sagte Falke.
    Lee setzte sich ein wenig vom brüllenden Feuer entfernt hin.
Ein Zinnbecher Tee mit einem Klumpen ranziger Butter, die sich darin
auflöste, wärmten ihm die verkrampften Hände. Die
Cowboys sprachen ruhig unter sich, wobei sie eine langstielige
Marihuanapfeife herumreichten und Geschichten erzählten. Nach
einer Weile brachte Redd Lee eine rauhe Decke. Sie roch nach
Pferdeschweiß, aber Lee nahm sie dankbar an: es war
beißend kalt draußen unter den Sternen.
    »Schlafe«, sagte Redd. »Langer Ritt morgen, und du
mußt vor allen anderen aufstehen.«
    »Ach?«
    »Ich habe vergessen, es dir zu sagen. Stinkefuß war
unser Koch.«

 
     

----
26
     

----
     
     
    Lee erwachte bei einem zarten Faden eines Lieds. Es war die graue
Stunde vor der Morgendämmerung. Jupiter war ein verwischter
Diamant, tief am Horizont. Das Feuer war zu glühender Asche
hinabgebrannt. Der Sänger war weit entfernt, draußen,
jenseits des Kreises angebundener Yaks. Seine Stimme war hoch und
wehmütig, sie stieg gegen Ende jedes Verses in einer seltsamen
Klage an. Er sang in der Country & Western Weise, für die
der ›King of the Cats‹ manchmal eine Vorliebe gezeigt hatte
(obgleich der King, wie allem anderen auch, ihr seinen eigenen
persönlichen Stempel aufgedrückt hatte).
    Hear the lonesome whippoorwill…
    Als Lee das Feuer wieder in Gang gebracht und einen Topf Wasser
zum Kochen aufgesetzt hatte, waren die restlichen Cowboys
aufgestanden und wieder auf den Beinen, und der Horizont fiel gerade
unter den Rand der Sonne. Redd zeigte Lee, wo die Vorräte
lagerten, half ihm dabei, einen Tee aufzubrühen, der dunkel wie
Roterübensaft war, und Kuchen aus Hafermehl und Butter auf einem
Metallblech zu backen, das direkt aufs Feuer gesetzt wurde. Cowboys
schlenderten heran, nahmen sich kommentarlos Essen und Tee und gingen
wieder weg.
    »Wir singen stets unseren Herden zu«, erzählte Redd
Lee und erklärte, daß die Yaks, gewöhnt daran, frei
in kleinen Herden herumzustreunen, nervös und widerspenstig
würden, wenn sie zusammengetrieben wurden. Des Nachts konnte sie
fast alles aufscheuchen, junge Füchse oder ein Wolf, ein Wechsel
der Windrichtung, ein Meteor. Lieder beruhigten sie.
    Lee dachte an die Pop-Arien und Werbespots, die ständig in
und um das Danwei von Bitterwasser erschollen, und sagte, er
wüßte, was Redd meinte. Er fügte hinzu: »Ich
kenne viele gute Songs. Vielleicht läßt du mich mal zu
deinen Tieren singen.«
    Als Redd zeigte, wie man aufsattelte, gerieten sie in eine
freundschaftliche Debatte darüber, ob der ›King of the
Cats‹ Country & Western transzendiert hatte, wie er so
vieles sonst transzendiert hatte. Oder, wenigstens, Lee erledigte das
meiste vom Reden, und Redd lächelte viel, und als Lee mehr oder
weniger damit durch war, den ›King of the Cats‹ zu
lobpreisen, bemerkte Redd, daß sich der King wie eine
Nebenerscheinung von Country & Western anhörte, nichts
weiter Besonderes. Lee lachte und sagte, wenn sie das Lager
aufschlügen, würde er Redd einiges von Stil des Kings
beibringen und dann sehen, was er sagen würde.
    »Wollen wir doch erstmal zum Lager kommen«, sagte Redd
und schwang sich in den Sattel seines nervösen rotbraunen

Weitere Kostenlose Bücher