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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Leuten erzählen will,
was zu tun ist, doch niemand fragt sie, was sie wollen.«
    Auf einmal stand Lao San wieder vor Lees Gesicht. »Sie
wüßten nicht, daß sie es benötigen«, sagte
er, »bis es ihnen erklärt worden ist.« Er wirbelte Lee
herum. »Sieh dir deine tapferen Massen an, wie sie um ihr Leben
rennen!«
    Es stimmte. Die Truppen hatten etwa den halben Platz erobert. Ihre
Linie war in Dutzende von Einheiten aufgebrochen, die unter einer
Decke orangefarbenen Rauchs hin- und herrückten, während
Tausende von Menschen versuchten, die Avenue auf der anderen Seite
hinab zu flüchten. Staubwolken hingen über der wimmelnden
Menge und röteten sich in dem morgendlichen Sonnenlicht. Mit
brüllenden Schwingen hob sich eine Friedenstaube über das
flache Dach des Informationsministeriums und schwang sich über
die panikerfüllten Menschen wie ein Sperber, der Eismäuse
aus langem Gras hinausjagte.
    Lao San lachte über Lees Bestürzung. »Du bleibst
bei uns, und du wirst verstehen. Du bist ein heller Bursche, selbst
wenn du noch grün hinter den Ohren bist.« Er drehte sich um
und rief den anderen zu, mit dem Einpacken anzufangen; es war Zeit zu
gehen, und die anderen Mitglieder der WBBM fingen an, ihre
Stücke und Teile der Ausrüstung in Segeltuchtaschen zu
verstauen.
    Lee sah die Lichtfäden, die von der Friedenstaube
herabstachen und die Menge bestrichen. Menschen gingen in Flammen auf
wie Ameisen unter einer Linse. Er und Xiao Bing wichen zurück,
als ein Laserstrahl die unteren Stufen berührte und von der
Hitze zerrissene Steine in alle Richtungen spritzten. Eine Frau lief
durch die Menge, das Haar in Flammen. Eine zweite Friedenstaube blieb
träge über dem Fronttor hängen, der Wind von ihren
Propellern wirbelte die Poster auf wie Herbstblätter.
Orangefarbenes Gas sprudelte aus dem Bauch der Friedenstaube, wurde
von der eigenen Zugkraft über den Platz gegossen.
    Menschen liefen vor der Wellenfront aus Gas davon. Einige
versuchten, die Treppe heraufzusteigen, aber Lao Sans junge
Männer kämpften sie mit den bloßen Händen
zurück, oder dadurch, daß sie die Segeltuchtaschen
schwangen, die mit ihrer Ausrüstung beschwert waren. Lao San
schwang eine Teleskopstütze; er stieß diese einer alten
Frau in die Brust, und sie stürzte hinab, wobei sie die Menschen
hinter sich zu Fall brachte.
    Lee erwischte einen Schwall Gas, der sich bis hinab in seine
Lungen brannte. Seine Augen verschütteten brennende Tränen.
Die Droge hatte sein Wahrnehmungsvermögen aufgerissen. Er war
Bildschirm, eine nervöse Oberfläche. Er packte Xiao Bing.
»Können eure Maschinen auch das Bild einer echten Person
projizieren?«
    »Sicher. Wir haben sowohl Kameras als auch
Recorder.«
    Lee sah sein eigenes doppeltes Spiegelbild in den silbernen Kappen
über Xiao Bings Pupillen. Er sah, daß seine eigenen Augen
anscheinend nichts weiter als Pupillen waren. Er sagte: »Xiao
Bing, du bist stets ein guter Freund gewesen. Bitte, richte es
für mich ein. Für Guoquiang.«
    »Du wirst nicht mehr als eine Minute haben«, sagte Xiao
Bing und wies Lee an, zurückzutreten. Einander überlappende
Lichtkegel sprangen um ihn herum, projiziert von kleinen Kameras, die
mit Klebestreifen an die Marmorwände zu beiden Seiten der
Tür aus rostfreiem Stahl angeheftet waren. Lee glättete
sich das Haar, als Xiao Bing ihm ein Knopfmikrofon aus Schaum an den
Hals steckte. »Bleib im Licht«, sagte Xiao Bing.
    Und dann erblickte Lee sein projiziertes Abbild, das riesig
über dem Platz hing. Es war so hoch wie ein Gebäude. Lee
breitete die Arme aus, und die linke Hand seines Abbilds strich durch
die Friedenstaube, die über dem Fronttor schwebte. Die Droge
sprühte ihm ins Vorderhirn. Er spürte, daß er in die
Köpfe eines jeden hineingreifen konnte, selbst in die Köpfe
der Soldaten. Seine eigene Stimme hallte zu ihm zurück: die
Worte kamen ohne Nachdenken.
    »Der ›King of the Cats‹ hat euch gesagt, daß
der Kaiser tot ist! Glaubt an den King! Ich bin mit ihm auf Vater
Jupiter gegangen. Er hat eine Botschaft, die so stark ist, daß
es eine ganze Zivilisation benötigt, sie zu vergessen, doch es
braucht nur einen Augenblick, um sich daran zu erinnern. Erinnert
euch daran, daß er jenen vergeben hat, die ihn vertrieben
haben, und jenen, die ihn verraten haben. Erinnert euch, daß er
um unserer Sünden willen gestorben ist!«
    Lee hielt inne, um Atem zu holen, und die Menge rief und winkte
mit den Händen seiner projizierten Gestalt zu. »Der

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