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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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und Lee und Chen Yao wurden zusammen mit Hunderten von
anderen in die Vorhalle gefegt.
    Niemand war direkt getroffen, doch viele waren von Schrapnell und
fliegendem Glas verletzt worden. Jene, die in dem Gebäude
lebten, brachten Tücher zum Verbinden und daraufhin Decken und
Schüsseln mit Suppe oder Tee. Die Türen wurden geschlossen
und verrammelt und von Freiwilligen bewacht.
    Der alte Mann fand Chen Yao und Wei Lee, wie diese eine stoische
Frau behandelten, deren Hand von einem Querschläger getroffen
worden war. Er wartete, während Lee das Blut wegwusch und eine
behelfsmäßige Schiene an den gebrochenen Finger der Frau
band, und dann legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte:
»Ich kenne dich, Herr. Es wäre für meine Familie eine
Ehre, wenn du Tee bei uns trinken würdest.«
    »Zu einer anderen Zeit wäre ich geehrt von deiner
Gastfreundlichkeit.«
    Der alte Mann sagte: »Ein weiteres Paar Hände bedeutet
jetzt keinen Unterschied.«
    Es stimmte. Für jede verletzte Person waren zwei weitere da,
die Wunden verbinden, das Blut aufwischen oder Tee holen konnten.
Leute hatten Fernseher herausgebracht. Die hohe Eingangshalle war von
Geplauder und Gesprächen erfüllt. All dies aufgrund
allgemeiner Übereinstimmung, ohne Anführer, ohne
Befehle.
    »Ich kenne dich, Herr«, sagte der alte Mann von neuem.
»Meine Familie kennt dich seit langer Zeit. Ich würde gern
mit dir darüber sprechen.«
    »Das ist nett von dir, aber wir müssen gehen«,
erwiderte Chen Yao.
    »Die Straßen sind gefährlich. Der Kleine Vogel
führt Krieg gegen die Soldaten, die auf dem Platz des
Himmlischen Friedens waren.«
    »Eine Stunde Verzögerung würde nicht wehtun«,
sagte Lee. Er war neugierig.
    Der alte Mann, Kong Tiangang, lebte in einer Eisenbahner-Wohnung
mit drei Räumen, zusammen mit seiner Frau und ihren beiden
Söhnen, deren Frauen und Kindern – einem Baby und
Zwillingsbrüdern, die nicht viel älter als Chen Yao waren
– und ihrer einzigen Tochter. Diese junge Frau litt an
fortgeschrittenem Schwund des Zentralnervensystems, eine der
genetischen Erkrankungen, die in einer Bevölkerung üblich
waren, deren Vorfahren wie Sardinen in nicht abgeschirmte Raketen
gestopft worden waren. Spindeldürr lag sie zuckend und bebend
auf einer Pritsche im Hauptraum des Zwei-Zimmer-Apartments, starrte
zur schmuddeligen Decke hinauf und sabbelte gelegentlich in einer
keuchenden Sprache, die nur ihre Mutter verstehen konnte.
    Die Kongs waren arme, ehrbare Leute, die das Verbrechen begangen
hatten, zu viele Kinder zu haben. Nach der Großen
Neueinschätzung, den Strafverfahren gegen die
Himmelsstraße und dem Bündnis mit der Erde, waren
Sanktionen eingeführt worden, um das Bevölkerungswachstum
einzudämmen; der wichtigste Teil dieser Sanktionen bestand
darin, daß Kinder nach einer asymptotisch verlaufenden Skala
besteuert wurden.
    »Wir sind weniger geworden«, sagte Kong Tiangang.
»Meister Kong, der Weise der Vorzeit, dessen Namen auf der
ganzen Alten Erde bekannt war, war unser Ahnherr, aber das war vor
dreitausend Jahren. Ich bin einer der einhundertneunten Generation.
Viele weitere sind auf der Erde geblieben, aber sie werden jetzt
nicht mehr am Leben sein. Einstmals waren wir die erste Familie unter
dem Himmel. Wir haben eine Provinz regiert und in einem
Herrschaftshaus gelebt, welches das größte,
prächtigste Haus im ganzen Mittleren Königreich gewesen
ist. Es ist nicht mehr, außer einigen wenigen Schätzen und
der Bibliothek. Und diese, die einstmals Tausende von Tausenden von
Bänden im Großen Pavillon der Konstellation der Literatur
erfüllt hatte, ist jetzt auf einem Datenchip gespeichert, der
nicht größer als mein Daumennagel ist. Herr, möchtest
du noch etwas Tee?«
    Lee und Chen Yao dankten ihm. Es war bitterer, grüner Tee,
serviert in Porzellantassen so dünn und durchscheinend wie
Papier. Abgesehen von der gelähmten Tochter saß die ganze
Familie Kong hinter ihnen, und Nachbarn bevölkerten die
Türschwelle, den Treppenabsatz und die Stufen und
flüsterten Bemerkungen und Spekulationen. Chen Yao nahm
anscheinend keine Notiz davon, aber Lee benötigte seinen
gesamten Willen, um sich nicht umzudrehen.
    Kong Tiangang lächelte und sagte: »Zweifellos hast du
dich gefragt, woher ich von dir weiß, junger Herr.«
    »Ich hatte angenommen, daß du mich im Fernsehen gesehen
hättest. Aber es ist mehr als das, nicht wahr?«
    »Wir haben einen ganz besonderen Schatz mitgebracht. Er wurde
in der Tang-Dynastie von zwei

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