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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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hat mich einmal
umzubringen versucht, weißt du. Das ist Krieg. Oder die Art von
Krieg, den wir führen. Man weiß nie, wer auftauchen wird,
und wo.«
    Lee wies auf Mary Makepeace Doe, die gegen die Seite des
Wohnwagens gelehnt stand, und fragte: »Bist du dir sicher,
daß es nicht sie war?«
    »Dies ist ein sehr merkwürdiger Krieg, Wei Lee. Nur
wenige Menschen sind direkt darin verstrickt, und so vervielfacht
sich jede ihrer Bewegungen. Ich winke mit der Hand« – der
halbgegessene Apfel war irgendwie verschwunden: Lee blinzelte, zwang
sich dazu, aufmerksam zu sein – »und Tausende sterben. Oder
Millionen. Du übst die gleiche Macht aus, obgleich es dir
womöglich gerade erst aufgeht.«
    Lee entsann sich der Aufstände. Und davor, die Mönche in
der einsamen Lamaserie.
    »Siehst du«, sagte der Mann mit einem Lächeln,
»du verstehst. Ob es dir gefällt oder nicht, du bist jetzt
einer der Mitspieler. Gleiches gilt für jeden in diesem Zelt,
und vielleicht für eine Gruppe von zwanzig Leuten im restlichen
Sonnensystem. Ich kenne sie alle, und ich habe das Spiel lange genug
gespielt.
    Also«, sagte er, plötzlich strahlend, »hier sind
wir. Es gab einmal eine Zeit, da hat deine Freundin Miriam versucht,
mich zu töten. Damals war sie keine Mitspielerin gewesen. Aber
ihr Fehlschlag hat sie in eine Position geschoben, wo sie eine werden
oder sterben mußte. Und jetzt ist sie in dich hineingefallen,
und dasselbe ist dir zugestoßen. Interessant, meinst du nicht?
Da ist ein Muster.«
    Der kleine Junge ergriff mit piepsiger hoher Stimme das Wort.
»Er wird nicht mehr sehr lange ein Mitspieler sein, falls er
jemals einer gewesen ist.«
    Lee hatte zuvor von dem Jungen nicht viel Notiz genommen, aber
jetzt sah er, daß ihm ein dickes, ineinandergeflochtenes Kabel
um den Arm geschlungen war. Es verlief hinauf zum Kopf und verschwand
in dem schwarzen Haar, das wie eine umgekehrte Schüssel frisiert
war, verlief zurück in eine Ecke des Zelts, die mit einer Art
weißen Films behängt war. Es war gerade eben möglich,
dort ein hohes Doppelbett auszumachen, flankiert von
Überwachungselementen, ein schattenhafter Anblick, der in Lee
vage und unbehagliche Erinnerungen auslöste, ein
besorgniserregendes, tiefes Unwohlsein, das er nicht ganz definieren
konnte. Und der Junge erinnerte ihn auch an jemanden. Die Züge
eines vertrauten Gesichts lagen unter den plumpen Wangen, dem gierig
gebogenen Mund, der breiten flachen Nase.
    Der Junge sagte: »Wir haben vernachlässigt, uns
vorzustellen, Wei Lee, obgleich ich glaube, du ahnst allmählich,
wer ich bin. Den Colonel kennst du bereits, und natürlich hast
du gerade einen Spaziergang draußen auf dem Land mit Mary
Makepeace Doe genossen.«
    Die Söldnerin blickte auf, eine finstere Miene verzerrte
ihren Mund unter den Video-Blenden. Der Junge verneigte sich vor ihr,
und Lee erhaschte einen Blick auf die Verbindung an der
Schädelbasis, wo das Kabel in Fasern aufbrach, die sich
auffächerten und wie Baumwurzeln, die sich an einen Felsen
klammern, unter seine Kopfhaut gruben.
    »Wir vergeben dir«, sagte der Junge zu der
Söldnerin, »weil du für uns notwendig bist.«
    Der Mann in Weiß sagte: »Sie ist gleichfalls eine
Mitspielerin. Ihr Name ist natürlich nicht wirklich Doe, sondern
Gaia. Mary Makepeace Gaia. Die Sorte von Leuten, mit denen sie
gearbeitet hat, hat es erforderlich gemacht, daß sie unter
Tarnung arbeitet.«
    Ungehalten über die Unterbrechung legte der Junge los:
»Ich muß dich zuletzt der wichtigsten Person von allen
vorstellen. Dem Kopf einer Missionsexpedition der Konservativen aus
Gaia. Doktor Lovelace Damon.«
    Der Mann in Weiß verneigte sich von der Taille ab.
»Damon Lovelace, in der Manier von Gaia.«
    Der Junge errötete. Seine schwarzen mandelförmigen Augen
glitzerten, und sein Mund arbeitete, als würde er jeden Moment
in Tränen ausbrechen, doch dann erstarrte sein Gesicht, und er
verneigte sich steif und entschuldigend.
    »Die Kontrolle wird erreicht, wenn die Schnittstelle
zusammenwächst«, sagte Dr. Damon Lovelace. »Abgesehen
davon gibt es nichts zu entschuldigen. Namen sind uns nicht wichtig.
Wir sind eins.«
    Plötzlich wußte Lee, wer der Junge war und was in dem
Bett hinter dem Gazevorhang lag. Er hatte das mit Apparaten beladene
Doppelbett schon einmal gesehen. Er war so jung und nahe daran
gewesen, vor Erschöpfung zusammenzubrechen, er litt noch immer
daran, Rauch eingeatmet und Lichtblitzverbrennungen durch den
Meuchelmord an seinen Eltern

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