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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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erlitten zu haben. Er erinnerte sich, in
einen sauberen weißen Raum gebracht worden zu sein, wo man ihm
das erste und letzte Mal die Wirklichkeit seines Großvaters
gezeigt hatte.
    Ein hohes weißes Bett, die Laken wie Schnee unter
strahlenden Lampen. Zwei Körper darin, getrennt von einem
Kissen. Beide männlich. Einer jung und rosig haarlos, die Augen
verbunden, Röhren liefen ihm in die Nase, in eine Klemme in
seiner Kehle. Der andere Körper wenig mehr als ein Skelett,
gekleidet in ledrige Haut, den Kopf verborgen von einem komplizierten
Helm, die Hände steckten in Handschuhen aus starrem schwarzen
Polymer. Drähte verliefen vom Helm und Händen weg und
gingen in ein Gewirr von Kabeln über, die in der Wand hinter dem
Bett verschwanden.
    Zwei Körper, verbunden mit durchsichtigen Röhren, durch
die rotes Blut pulsierte: einer der mumifizierte Fast-Leichnam von
Lees Urgroßvater; der andere der enthirnte Yankee, der seinen
uralten Körper am Leben erhielt.
    Der kleine Junge sah, wie sich Lees Gesichtsausdruck
veränderte. Er grinste höhnisch, verschränkte den
einen Fuß um den anderen. Sein Gesicht war eine junge, plumpe
Version von Urgroßvater Weis Phantombild.
    »Das stimmt, Sohn«, sagte er. Er strahlte vor stolzer
Begeisterung. »Schließlich werde ich frei vom toten
Gewicht meines Körpers sein. Ich werde frei sein, wieder in die
Welt hinauszugehen. Ich werde Stück um Stück in das Gehirn
dieses lebenden Phantombilds übertragen, das aus einer einzigen
Zelle gezüchtet worden ist, die man dem Epithelgewebe meines
Darms entnommen hat. Ich werde auf ewig leben, nicht bloß
zehntausend Jahre!«
    Und er hüpfte in einem ausgelassenen kleinen Tanz auf dem
luxuriösen Teppich umher. Das Kabel, das ihn mit seinem uralten
Körper verband, schwang in langen Bögen hinter ihm.
    Lee dachte, daß das Phantombild schließlich eine wahre
Darstellung seines Urgroßvaters gewesen war. Ein veraltetes
Bild. Jedesmal, wenn er das Große Haus besucht hatte, hatte er
darüber gegrübelt, und jetzt wußte er es, und es
spielte keine Rolle.
    Dr. Damon Lovelace sah nachsichtig zu, tatsächlich und ganz
bestimmt wie ein stolzer Vater, der er, in gewisser Weise, war. Er
sagte Lee, daß es Gaia war (wie die Conchies sowohl die Erde
als auch den irdischen Konsens nannten), die dies ermöglicht
hatte. Die Übertragung eines Bewußtseins in einen neuen
Körper war Routine: so wurden die Menschen geboren, auf Gaia. Er
selbst war auch auf diese Art geboren worden.
    »Obgleich es natürlich die zusätzliche Komplikation
gab, daß mein Genom von einem Speicher in ein wiederbelebtes
künstliches Ovum eingelesen werden mußte. Es ist eine
ganze und echte Übertragung, nicht im geringsten wie das, was
zwischen dir und Miriam geschehen ist, Wei Lee. Wir sind der
anarchistischen Technologie weit voraus, auf Gaia.«
    Der kleine Junge lachte. »Außer im Entwerfen von
Fulleren-Viren – unglücklicherweise, für dich, mein
lieber Sohn. Siehst du, Miriams Infektion wird dich nicht retten.
Ganz im Gegenteil. Wir können sie nicht studieren, ohne dich zu
zerstören.«
    Lee streckte den Arm aus. »Nehmt mir einfach Blut ab.«
Mit diesem Angebot war er zur Hauptstadt gereist, seine Lebensschuld
abzutragen. Seine Nerven sangen vor Erwartung. »Bitte«,
sagte er, als sich niemand bewegte.
    »Wenn es nur so einfach wäre«, sagte Dr. Damon
Lovelace. »Nur die einfacheren Virenarten leben in deinem Blut,
Wei Lee. Von denen wissen wir alles. Zweige der gewöhnlichen
Arten selbstreproduzierender, submikroskopischer Maschinchen,
hergestellt aus verschiedenen metallgedopten
Karbongitter-Sphären, die mit wachsender Lebensdauer die
routinemäßigen Haushaltsarbeiten erledigen.
Krebsjäger, Seuchenknacker und dergleichen. Aber die besonderen
Viren, die Miriam Makepeace Mbele getragen hat, haben sich in dein
Nervensystem verwoben. Denk an das Gewebe dieses Teppichs. Du
könntest die einzelnen Fäden herausziehen, aber du
würdest die Muster zerstören, die sie bilden. So ist es mit
den Viren, die von innen dein Nervensystem neu errichtet haben. Um
sie wiederzugewinnen, müssen wir das Muster
zerstören.«
    Da ging Lee auf, daß sie nur wenig über Miriams Viren
wußten. Sie wußten zum Beispiel nicht, daß die
Infektion durch etwas so Einfaches wie einen Kuß
übertragen werden konnte.
    »Wir müssen dich töten, mein Sohn«, plapperte
der kleine Junge drauflos und grinste boshaft.
    Jungen-Ding, dachte Lee und bekam eine Gänsehaut.
    »Und natürlich werden

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