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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Hämophilie zu sterben, dass der Zar und vor allem Zarin Alexandra von der Krankheit regelrecht besessen schienen. Alexej hätte an jedem kleinen Kratzer, an jeder kleinen Abschürfung, die sich ein Junge tagtäglich zuziehen konnte, verbluten können. Die Bluterkrankheit zwang ihn dazu, so zu leben, als wäre er aus Glas. Und auch die Eltern führten ein Leben, als wären sie so zerbrechlich wie die unzähligen Bernsteinintarsien im Bernsteinzimmer des Katharinenpalasts oder die außergewöhnlich fragilen Fabergé-Eier, die der Zar seiner Frau immer zum Geburtstag schenkte.
    Selbst Alexejs Spielkameraden waren von den Eltern sorgfältig danach ausgewählt worden, wie behutsam sie mit ihm umgingen.
    Pekkala erinnerte sich an die leisen Makarow-Brüder – dünne, nervöse Jungen mit abstehenden Ohren, die immer die Schultern hoch- und den Kopf einzogen, wie es Jungen taten, wenn sie auf die Explosion eines Feuerwerkskörpers warteten. Trotz seiner Zerbrechlichkeit hatte Alexej sie überlebt, da beide im Krieg gestorben waren.
    Ungeachtet aller Vorsichtsmaßnahmen schienen die Eltern jeden Moment zu erwarten, dass ihr Sohn starb. Und in diesem Fall wären sie wohl selbst einfach zu Staub zerfallen.
    »Alexej hat recht«, sagte der Zar. »Sie dürfen diese Leute nicht beachten.« Abschätzig deutete er in Richtung der Gäste.
    »Sie haben Ihnen nicht die Begrüßung zuteilwerden lassen, die Sie verdient hätten«, sagte Alexej.
    »Sie kennen mich nicht«, erwiderte Pekkala.
    »Sie Glückspilz!« Der Zar lächelte. Pekkalas Gegenwart schien ihn immer aufzuheitern.
    »Aber wir kennen Sie, Pekkala«, sagte Alexej, »und nur das zählt.«
    »Also, Pekkala! Schauen Sie sich an, was wir hier haben.« Der Zar zeigte auf ein rotes Taschentuch, das auf dem Schreibtisch lag und neben den ordentlich aufgereihten Stiften, den Scheren, dem Tintenfass und dem Brieföffner mit Jadegriff völlig fehl am Platz wirkte. Der Zar achtete immer darauf, dass auf seinem Schreibtisch penible Ordnung herrschte. Sprach er in seinem Arbeitszimmer mit Leuten, die er nicht mochte, konnte es geschehen, dass er sich gut und gern eine Minute Zeit ließ, um diese Gegenstände neu auszurichten, als hinge von einem Millimeter hin oder her seine geistige Gesundheit ab.
    Mit der schwungvollen Handbewegung eines Zauberers zog der Zar das Taschentuch fort.
    Darunter kam etwas zum Vorschein, was für Pekkala wie ein komisches großes Ei aussah. Nur leuchtete es in flammendem Grün, Rot und Orange. Vielleicht wieder eines von Fabergés Kunstwerken?
    »Was halten Sie davon, Pekkala?«, fragte der Zar.
    Pekkala wusste, wie er mit diesen Spielchen umzugehen hatte. »Mir kommt es vor wie …« Er zögerte. »… eine Zauberbohne.«
    Der Zar brach in schallendes Gelächter aus.
    Auch Alexej lachte, aber wie immer legte er dazu den Kopf schief und hielt sich die Hand vor den Mund.
    »Zauberbohne!«, rief der Zar. »Mehr muss ich gar nicht wissen.«
    »Es ist eine Mango«, sagte Alexej. »Die Leute, die gerade hier waren, haben sie uns zum Geschenk gemacht. Sie ist mit den schnellsten Schiffen und Zügen aus Südamerika gebracht worden. Nach allem, was sie gesagt haben, hing sie vor nicht ganz drei Wochen noch an einem Baum.«
    »Eine Mango«, sagte Pekkala und versuchte sich zu erinnern, ob er das Wort schon einmal gehört hatte.
    »Es ist eine Art Obst«, sagte der Zar.
    »Pekkala hat keine Zeit für Mangos«, sagte Alexej und versuchte zu lächeln.
    »Es sei denn«, und Pekkala hob den Finger, »sie hat sich eines Verbrechens schuldig gemacht.«
    »Eines Verbrechens schuldig gemacht!«, lachte der Zar.
    Pekkala streckte die Hand aus, und nachdem der Zar ihm die Frucht gegeben hatte, tat er so, als würde er sie eingehend studieren. »Verdächtig«, murmelte er. »Höchst verdächtig.«
    Alexej wippte vergnügt mit seinem Stuhl.
    »Gut«, sagte der Zar, »dann gibt es die Höchststrafe. Uns bleibt nichts anderes übrig.« Er öffnete eine Schublade und holte ein großes Taschenmesser mit Hirschhorngriff heraus.
    Der Zar ließ die Klinge aufschnappen. Er nahm die Frucht in die Hand und schnitt die leuchtende Schale auf. Das Fruchtfleisch war tieforange. Sorgfältig schnitt er die Mango auf und reichte Pekkala und dann Alexej einen Schnitz, bevor er sich selbst einen nahm.
    Schweigend kosteten sie das Obst.
    Das kühle, süße Fruchtfleisch schien Pekkala im Mund herumzuspringen. Unwillkürlich entfuhren ihm anerkennende Laute.
    »Pekkala schmeckt es«, sagte

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