Roter Zar
keiner lange durch.«
»Er hat gewusst, wer den Zaren umgebracht hat. Möglicherweise war er der Einzige, der mir den Namen des Mörders hätte verraten können.«
»Ich könnte Ihnen vielleicht helfen«, sagte Majakowski.
»Wie?«
»Es gibt jemanden, den Katamidse gekannt hat, jemanden, mit dem er vielleicht geredet hat, bevor er aus Swerdlowsk verschwunden ist.«
»Wer?«, fragte Pekkala. »Um Gottes willen, Majakowski, wenn Sie das alles wissen …«
Majakowski hob die Hand. »Ich werde mit dieser Person reden«, sagte er. »Man muss vorsichtig vorgehen.«
»Wann können Sie mir Bescheid geben?«, fragte Pekkala.
»Ich werde mich sofort darum kümmern.« Er klang ruhig und selbstsicher. »Vielleicht kann ich Ihnen heute schon etwas sagen.«
»Ich nehme an, Ihre Mühen werden nicht umsonst sein. Ihnen sollte klar sein, dass wir Ihnen nicht viel geben können.«
Majakowski neigte den Kopf erst in die eine und dann in die andere Richtung. »Es gibt etwas, worauf ich ein Auge geworfen habe, sozusagen.«
»Und was ist das?«
Mit einem Nicken deutete Majakowksi auf Pekkalas schwarzen Mantel, der an einem Nagel an der Wand hing. Unter dem Revers war das Smaragdauge zu sehen.
Pekkala atmete hörbar durch die Zähne aus. »Sie verhandeln sehr hart, Majakowski.«
»Wäre es anders«, sagte er lächelnd, »könnte ich mir selbst nicht in die Augen schauen.«
»Was ist mit dem Korb?«
»Behalten Sie ihn, Inspektor. Betrachten Sie ihn als Anzahlung auf Ihr Abzeichen.«
Pekkala wischte sich die letzten Seifenreste aus dem Gesicht, klappte sorgfältig das Rasiermesser zusammen und steckte es sich in die Tasche. Er ging in die Küche. Zu seiner Überraschung traf er dort auf Anton, der die Füße auf den Tisch gelegt hatte und eine
Prawda
las. »Sieh mal, was ich gekauft habe«, sagte er.
»Die Zeitung ist eine Woche alt«, erwiderte Pekkala, als ihm das aufgedruckte Datum auffiel.
»Selbst eine Woche alte Neuigkeiten sind hier Neuigkeiten.« Anton legte die Zeitung zusammen und knallte sie auf den Tisch.
»Majakowski war hier«, sagte Pekkala und stellte den Korb auf den Tisch.
Anton durchwühlte den Korb, griff sich einen Laib dunklen Roggenbrots und biss beherzt ab. »Was wollte unser Haustroll dafür?«, fragte er mit vollem Mund.
»Er meint, möglicherweise kennt er jemanden, mit dem sich Katamidse über die Nacht unterhalten hat, in der die Romanows erschossen wurden. Vielleicht kann er uns einen Namen besorgen.«
»Hoffentlich«, sagte Anton, »ist er uns eine größere Hilfe als das letzte Mal.«
Aus dem Inhalt des Korbs – einem kleinen Rebhuhn, einer Flasche Milch, gesalzener Butter und einem halben Dutzend Eier – stellte Kirow ein Essen zusammen. Er hackte das Rebhuhnfleisch klein, zerbröselte das Brot und mischte alles in einer rissigen Schüssel, die er unter der Spüle gefunden hatte, bevor er Butter und mehrere Eidotter hineinknetete. Er schürte das Feuer im Herd, bis sich die Eisenplatte unter der Hitze fast zu krümmen schien. Dann formte er aus der Fleisch-Brot-Masse ovale Laibe, die er zum Backen auf die Herdplatte legte.
Die drei Männer saßen danach um den Herd, ließen das Feuer niederbrennen, benutzten ihre Taschentücher als Teller und verbrannten sich die Finger an den heißen buttrigen Laiben.
Pekkala aß so langsam wie möglich, ließ sich alles auf der Zunge zergehen und versuchte dem Geschmack nachzuspüren, während sich der Bissen langsam im Mund auflöste.
»Meiner Familie hat mal eine Schänke gehört«, sagte Kirow, »in der Stadt Torjuk an der Straße von Moskau nach Petrograd. Damals, als noch Pferdekutschen unterwegs waren, war immer viel los. Oben gab es kleine Zimmer für die Gäste, und die Fenster im Erdgeschoss hatten bunte bleigefasste Scheiben. Es roch nach Essen und Rauch. Ich kann mich an Leute erinnern, die halb erfroren aus ihrer Kutsche kamen, die sich den Schnee von den Stiefeln klopften und sich an den großen Tisch setzten. An der Tür lagen die Mäntel auf Haufen, die größer waren als ich. Immer herrschte Betrieb, und der Koch, er hieß Pojarski, musste immer auf Zack sein und Tag und Nacht kochen, wenn Gäste eintrafen. Im Winter, wenn es ruhiger wurde und der Herd abkühlte, schlief er auf der Herdplatte. Aber als die Nikolai-Bahn zwischen den beiden Städten eröffnet wurde, führte die Strecke nicht durch Torjuk. Die Straße hätte man gut und gern stilllegen können, es kamen kaum noch Kutschen. Aber meine Familie hielt an der Schänke
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