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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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heißen?«, fragte Pekkala.
    »Das heißt, dass auch uns der Ruf der Natur ereilt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Oder wir gehen auf eine Zigarette nach draußen. Oder wir sind in der Kantine und holen uns eine Schale Suppe. Wenn niemand am Eingang ist, muss der Besucher nur die Klingel benutzen, und wir kommen.«
    »Aber wenn niemand da ist, kommt jeder an die Schlüssel heran.«
    Der Aufseher zuckte mit den Schultern. »Offiziell nicht.«
    »Mit anderen Worten: ja.«
    »Es gibt einen ganzen Schrank mit Schlüsseln. Jeder, der bei uns arbeitet, hat einen. Sie nehmen sich den Schlüssel, wenn sie zum Dienst antreten, und geben ihn wieder ab, wenn sie gehen. Jeder Schlüssel hat einen Anhänger mit einer Nummer, die zum jeweiligen Mitarbeiter gehört.«
    »Und dieser Schrank ist abgeschlossen?«
    »Offiziell …«
    »Sparen Sie es sich.«
    »Er sollte abgeschlossen sein, ist es aber nicht immer. Aber hören Sie, wir sind, wie gesagt, darauf ausgerichtet, niemanden ausbrechen zu lassen. Will ein Insasse ausbrechen, muss er erst aus seiner Zelle, die abgesperrt ist, und dann muss er durch diese Tür hier, die ebenfalls abgesperrt ist. Keiner bricht in ein Irrenhaus ein.«
    »Kennen Sie jemanden, der Katamidse so sehr gehasst hat, dass er ihn hätte umbringen können?«
    »Inspektor, unsere Insassen brauchen keinen Grund, um jemanden umzubringen. Deshalb sind sie in Wodowenko. Und wenn Sie mir sagen, er wäre erwürgt worden, warum hat sich dann jemand noch die Mühe gemacht, ihm Lauge einzutrichtern?«
    »Um es wie die Tat eines Wahnsinnigen aussehen zu lassen«, erwiderte Pekkala. »Damit keiner auf die Idee kommt, es könnte jemand von außerhalb gewesen sein.«
    »Könnte man nicht eher auf die Idee kommen, dass es jemand von hier drin war?«
    »Möglich«, sagte Pekkala, »aber das glaube ich nicht. Er hatte uns etwas zu sagen, und jemand ist uns zuvorgekommen.«
    Pekkala trat hinaus in den Gang.
    Der Aufseher folgte ihm und fasste ihn am Ärmel. »Warum sollte jemand hier einbrechen und einen wie Katamidse umbringen?«
    »Katamidse kannte einen Namen.«
    »Einen Namen? Deswegen ist er gestorben?«
    »Er wäre nicht der Erste«, sagte Pekkala. Damit ging er.

Am fünfundsiebzigsten Tag im Butyrka-Gefängnis, nachdem Pekkala an den Handgelenken aufgehängt worden war, so dass ihm zum mittlerweile dritten Mal die Schultern ausgerenkt wurden, schnallten ihn zwei Wärter auf ein Brett. Sie neigten es nach hinten, bis die Füße höher als der Kopf lagen, und warfen ihm ein nasses Tuch aufs Gesicht. Dann goss einer der Wärter Wasser auf das Tuch, bis Pekkala keine Luft mehr bekam und glaubte, er würde ertrinken.
    Er wusste nicht, wie lange das so ging.
    Er zog sich in einen Raum in seinem Inneren zurück, von dem er bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht gewusst hatte, dass es ihn gab.
    Bei allem, was ihm bislang angetan worden war, hatten sich die Informationen, auf die sie es abgesehen hatten, und die ihm zugefügten Schmerzen irgendwie die Waage gehalten. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, die beiden Waagschalen in ein Gleichgewicht zu bringen. Als er jedoch unter dem Tuch zu ertrinken drohte, war das nicht mehr möglich, und irgendetwas in seinem Unbewussten übernahm die Kontrolle. Eine schreckliche Schwärze legte sich wie eine Wolke über seinen Verstand, und er wusste nicht mehr, wer er war oder was ihm wichtig war oder was sonst noch zählte … außer am Leben zu bleiben.
    Als sie das Tuch von seinem Gesicht zogen, sprach er den Namen aus, auf den sie es abgesehen hatten. Er hatte ihn nicht sagen wollen. Aber der Name kam ihm von ganz allein über die Lippen.
    Sofort wurde Pekkala in seine Zelle zurückgebracht.
    Nachdem die Tür geschlossen war, brach Pekkala in Tränen aus. Tiefste Verzweiflung packte ihn. Tränen rannen ihm über die Knöchel der Hand, die er sich vor den Mund presste. Als die Tränen versiegten, hatte er sich damit abgefunden zu sterben.
    Am folgenden Tag wurde Pekkala von den Wärtern durch den Gang mit den Einzelzellen in einen leeren Raum mit nassem Boden geführt. Der Raum war nur wenige Schritte lang und ebenso breit, aber ihm erschien er so groß, dass er sich sofort eng gegen die Wand drückte, als stünde er an einem Abgrund.
    Der Wärter reichte Pekkala einen Kanten Brot und schloss die Tür.
    Pekkala biss ab und spuckte sofort wieder aus. Das Brot wurde von Tag zu Tag übler, dachte er.
    Dann sprühte Wasser aus einer Öffnung in der Wand.
    Pekkala schrie auf, ließ sich zu

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