Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Peugeot-Limousine vor seinem Haus in Grund abgeholt und hinüber nach Frankreich gefahren worden.
Nach rund zwei Stunden erreichten sie den Bois de Livry. Der Chauffeur bog von der Route Nationale auf einen Feldweg ab. Es nieselte leicht. Über ihnen erhob sich ein dichtes Dach aus Eichen- und Buchenblättern. Es war derart düster, dass der Fahrer das Licht einschalten musste. Nach weiteren zehn Minuten Fahrt erreichten sie ein kleines Waldschloss, das von einem hohen schmiedeeisernen Zaun umgeben war. Vor dem Eingangstor standen mehrere Polizisten mit Maschinenpistolen. Nachdem man sie durchgelassen hatte, parkte der Fahrer vor einer Freitreppe, die direkt zum Haupteingang führte. Ein livrierter Bediensteter öffnete demKoch die Tür. »Guten Morgen, Monsieur Kieffer«, sagte er. »Monsieur le Maire ist heute Morgen auf Wildschweinjagd gegangen und soeben zurückgekehrt. Er macht sich gerade frisch.«
Kieffer schaute sich um. Die Bezeichnung Jagdhütte, die Allégrets Assistent verwendet hatte, war eine ziemliche Untertreibung gewesen. Es handelte sich vielmehr um ein kleineres Lustschloss, mit mehreren Türmchen, einem Haupthaus, Stallungen und allerlei anderen Nebengebäuden. Links von ihnen befand sich ein größerer Parkplatz. Der Luxemburger konnte mehrere Männer in Wachsjacken und Gummistiefeln dabei beobachten, wie sie den blutverschmierten Kadaver einer riesigen Bache aus der Blutwanne im Fond eines Jeeps auf einen Rollkarren hievten. Allégrets morgendliche Jagd war offenbar erfolgreich gewesen.
Kieffer folgte dem Butler durch die Haupthalle in den Speisesaal. Das Schloss musste im 18. oder 19. Jahrhundert erbaut worden sein und sah aus wie ein Museum. In dem Zimmer, in das der Mann ihn führte, war kaum ein Zentimeter Tapete zu erspähen. Sämtliche Flächen waren bedeckt mit überdimensionalen Spiegeln sowie Ölgemälden mit Jagdszenen. Hinzu kamen auf Holztellern angebrachte Geweihe und Tierköpfe in kaum zu ermessender Zahl. Auch die riesige Eichentafel in der Mitte des Saals war völlig überladen. Der Tisch ächzte förmlich unter dem Gewicht all des alten Baccarats, Meißners und Silberbestecks, mit dem er eingedeckt war.
»Wie viele Personen werden wir denn?«, fragte er den Angestellten.
»Nur Sie und Monsieur le Maire«, erwiderte dieser. Dann schenkte er Kieffer wortlos ein Glas Wein ein, deutete auf eine Auswahl Zeitungen, die auf einem Beistelltisch aufgefächert lagen, und verließ mit einer Verbeugung den Raum.
Kieffer blätterte ein wenig in »Le Monde«. Die Montagsausgabe enthielt einen großen Bericht über den Tod Mifunes. Interessanter jedoch erschien ihm ein Leitartikel auf der Titelseite, in dem sich der Chefredakteur über die »Ungeheuerlichkeit des ganzen Vorgangs« ereiferte. Es war allerdings nicht der tote Japaner, über den sich der Journalist aufregte:
»Das Orsay ist nach dem Louvre Frankreichs größter Schatz. Manch einer würde sogar behaupten, dass Ersteres noch bedeutender ist als Letzteres, weil seine einzigartige Sammlung impressionistischer und expressionistischer Werke die wahre Seele der Nation verkörpert. Hier nun offenbart sich ein Skandal von noch nicht zu ermessender Tragweite. François Allégret ist schon in der Vergangenheit des Öfteren dadurch aufgefallen, dass er die Tresore und die nationalen Heiligtümer jener Stadt, die er seit nunmehr 14 Jahren regiert, als seine persönlichen Verfügungsobjekte, ja seine Pfründe erachtet. Man erinnere sich des Falls jener städtischen Immobilie im 8. Arrondissement, die Allégret einem Studienfreund (der zufällig auch Leiter der Pariser Museumsverwaltung ist) zu einem Spottpreis als Residenz überließ. Nun hat der Bürgermeister in bester Cäsarenmanier das ganze Musée d’Orsay leer räumen lassen wie eine zweitklassige Brasserie, um dort eine kleine private Feier zu veranstalten. Er verfügte, dass Kunstwerke unschätzbaren Wertes, darunter Gauguins ›Père Tanguy‹ und Monets ›La Japonaise‹, umgehängt und zur Dekoration seines Abendessens degradiert werden. Mit wem er dort dinierte, dies wollen wir nun wissen. Wer das alles bezahlt hat, das interessiert uns. Doch die Mairie, sie schweigt.«
Kieffer brach die Lektüre des seiner Ansicht nach arg gestelzten Artikels ab, da er aus dem Vorzimmer ein Knarren des Dielenbodens vernommen hatte. Just als er sich erhob, öffneten sich die Flügeltüren und François Allégret schwebte herein. Der Bürgermeister trug ein waldgrünes Hahnentritt-Sakko
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