Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
möglichen, fast ausgerotteten Fischarten.«
»Also muss Mifune einen anderen Grund gehabt haben, die Geschäftsbeziehung so abrupt zu beenden.«
»Sieht wohl so aus.« Hashimoto schaute ihn an. »Willst du sonst noch etwas wissen?«
Kieffer zündete sich eine Ducal an. »Nur eine Sache noch. Der Name von Mifunes Restaurant …«
»… ›Ue no tai‹?«
»Genau. Was bedeutet das?«
»Schwierig zu erklären, für Langnasen.«
»Versuch’s mal, Toro.«
»Tai ist ein Fisch.«
»Meerbrasse?«
»Ja, aber du kannst ihn nicht mit eurer schnöden Dorade vergleichen. Tai ist für uns Japaner der König der Fische. Im Frühling, wenn die Kirschblüte beginnt, dann färbt sich der Tai rosa und laicht. Früher, bevor die Leute so versessen auf Maguro waren, da war Tai der edelste und teuerste Fisch, den du servieren konntest. Und deshalb haben wir alle möglichen Redewendungen, in denen er vorkommt. ›Ue no tai‹ zum Beispiel. Das heißt: ›Das Höchste des Tai‹.«
»Das Beste vom Besten?«
»So in etwa. Und wir sagen auch ›koosatte mo tai‹. Koosatte bedeutet verrottet. Heißt also sinngemäß: ›Der Fisch hier mag zwar schon total vergammelt sein – aber es ist immer noch Tai.‹«
»Verstehe ich nicht.«
»Beispiel: Wenn mein Mercedes total viele Kilometer runter hat und überall Beulen, sagst du vielleicht, dieMöhre gehört auf den Schrottplatz. Und ich würde antworten: ›Koosatte mo tai‹. Es ist immer noch ein Mercedes.«
Sie schwiegen einen Moment und aßen still die letzten Filets auf. Schließlich sagte Hashimoto: »Weitere Fragen? Nein? Dann können wir ja loslegen. Und zwar isshoo kenmei!«
»Was heißt das jetzt wieder?«
Der Japaner entnahm einer der Kisten zwei Flaschen Bier und fischte eine weitere Cannabis-Zigarette aus seiner Hosentasche. Er grinste. »Das heißt: Jetzt gibt’s keine Ausreden mehr!«
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9
Als Kieffer gegen fünf Toros Restaurant verließ, schwebte er mehr, als dass er ging. Er schlenderte die Rue du Dragon hinauf, und fand sich nach einigen Minuten im Zentrum von Saint-Germain-des-Prés wieder, wo er sich umgehend in einem der Straßencafés niederließ und zunächst einmal zwei Kaffee und eine Karaffe Wasser trank. Dann begann sich der Nebelschleier vor seinen Augen allmählich zu lichten. Da er gegenüber dem spindeldürren japanischen Koch einen Gewichtsvorteil von mindestens 30 Kilo besaß, war er trotz ihres unorthodoxen Kaffeekränzchens in deutlich besserer Verfassung als Hashimoto gewesen, der zum Schluss gewankt hatte wie ein Bambusstängel im Wind.
Das Café »Il Sangue«, aus dem heraus Prezzemolo nach Aussage des Japaners operierte, lag in der Rue du Faubourg Saint-Martin. Da das ohnehin in der Nähe des Ostbahnhofs lag, von wo der TGV nach Luxemburg abfuhr, beschloss Kieffer, dort auf gut Glück vorbeizuschauen. Er nahm die Métro und stieg an der Station Saint-Denis aus. Die Rue du Faubourg Saint-Martin war eine schmuddelige Gasse im heruntergekommenen Teilder Grands Boulevards. Kebabbuden und Ein-Euro-Läden reihten sich aneinander, Straßenhändler boten gefälschte Guccitaschen und Armanibrillen an. Das »Il Sangue« war eine klassische Pariser Tagesbar, schnörkellos eingerichtet, mit dunklem Holz und einem Tresen aus Zink. An den Wänden hingen Fotos der Adriaküste, auf einem Fernseher lief Rai Uno. Eine Handvoll südländisch aussehender Männer stand am Tresen, blätterte in italienischen Sportgazetten und ignorierte das Rauchverbot.
Kieffer bestellte einen Espresso und wandte sich an den Wirt, einen Mittfünfziger mit gestärktem, weit geöffnetem Hemd und zurückgegelten Haaren. »Guten Tag. Ich suche jemanden, der häufig hier sein soll.«
Der Wirt musterte ihn misstrauisch. »Und wer soll das sein?«
»Ein Fischhändler, ich glaube, man nennt ihn Prezzemolo.«
Der Wirt legte den Kopf schief. »Ist nicht hier.«
»Aber er kommt öfter her, oder?«, fragte Kieffer. »Wann könnte ich ihn denn am besten erwischen?«
Der Mann hinter der Bar zog Schultern und Augenbrauen theatralisch nach oben. »Er hat seinen Spitznamen nicht umsonst. Er ist überall und nirgends. Man weiß nie, wann er wieder auftaucht.«
Kieffer, dem das Spielchen allmählich auf die Nerven zu gehen begann, sagte: »Wenn die Petersilie mal wieder hier ist, richten Sie ihr doch bitte aus, dass ich gerne Thun kaufen würde. Viel Thun.« Er griff nach einem Streichholzbriefchen, das auf der Bar lag und schrieb seine Telefonnummer hinein. Dann entnahm er seinem
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