Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
die Kieffer je gesehen hatte. Der zweite Mann von rechts, einer der Schwertträger, war mehrfach umkringelt, auch in der Bildzeile darunter war etwas unterstrichen. Kieffer verglich den Text unter dem Foto mit der Zeichenfolge, die er weiter vorne entdeckt hatte. Sie waren identisch. Er betrachtete das Bild des jungen Japaners nochmals eingehend, nur um sich ganz sicher zu sein. Es bestand kein Zweifel.
Als sie Châtelet passierten, war seine Verzweiflung einem Gefühl ohnmächtiger Wut gewichen. Er verspürte den Wunsch, irgendetwas kurz und klein zu schlagen. Toros Buch fest umklammert wartete er mit zusammengebissenen Zähnen, bis sie Strasbourg–Saint-Denis erreichten. Dort stieg er aus, wechselte in die Linie 9 Richtung Westen und fuhr bis Alma Marceau. Dann rannte er, Passagiere unsanft beiseitestoßend, die Rolltreppe hinauf, um danach im Stechschritt auf die nächstgelegene Seinebrücke zuzusteuern. Er konnte das Museum am Quai Branly bereits sehen. Wenige Minuten später fuhr er mit dem Lift hinauf ins »Ue no tai«. Als er eintrat, erblickte er den Maître neben der Bar. Kieffer ging sofort auf Kollisionskurs. Er lief schnellen Schrittes auf Honda zu, den Oberkörper leicht nach vorne geneigt, die Hände zu Fäusten geballt. Der Maître sah seinen Gesichtsausdruck und wich zurück. Er wollte etwas sagen, schien dann aber zu begreifen, dass sein ungebetener Gast bereit war, vor seinen Gästen eine höchst dramatische Szene zu veranstalten. Deshalb begann Honda, in den hinteren Teil des Gebäudes zu deuten und murmelte dabei: »Büro«.
Kieffer folgte ihm in ein kleines Arbeitszimmer und warf die Tür geräuschvoll hinter sich ins Schloss. Er knallte das aufgeschlagene Buch auf den Schreibtisch und zeigte auf das Foto. »Wieso haben Sie mir nicht gesagt, dass Mifune selbst im Thunfischhandel tätig war? Das ist doch Ihr Onkel, oder?«
Honda musterte die Bildtafel kurz und nickte dann. »Ja, das ist er, auf dem Tsukiji-Fischmarkt, ich schätze irgendwann in den späten Siebzigern.«
»Was hat er da gemacht?«
»Oojiki hatte eine Lehre bei dem großen Sushimeister Akutagawa-sama gemacht. Aber er war der Meinung, er wisse immer noch zu wenig über Fisch, vor allem über Maguro, über Thun.« Honda ließ sich in den Bürostuhl sinken und zündete sich eine Marlboro an. Kieffer konnte sehen, dass seine Hände zitterten. »Er hat deshalb fast fünf Jahre lang auf dem Tsukiji gearbeitet. Deshalb kannte er viele der dortigen Fischhändler, bis zuletzt hatte er gute Kontakte nach Tokio.«
Kieffer schaute verständnislos. »Warum sollte ein ausgebildeter Sushimeister jahrelang für wenig Geld auf dem Markt Fische filetieren?«
Honda lächelte gequält. »Das ist der Weg. Ohne Entbehrungen gelangt man nicht zu tiefer Erkenntnis. Es …«
Weil er keine Lust auf einen weiteren Vortrag über das Zen des Thunfischs hatte, schnitt er dem Maître das Wort ab. »Wie ist der Titel dieses Buches? Worum geht es da?«
Honda blätterte etwas in dem dunkelgrünen Büchlein umher. »Maguro no kaiwa no shikuretto. Die Geheimnisse des Gesprächs mit dem Thunfisch. Maguro no kaiwa ist, wie soll ich das erklären …«
»… ich weiß, was das ist. Aber was hat Mifune in dem Buch zu suchen?«
Honda blinzelte ihn verständnislos an. »Oojiki war ein Meister des Maguro no kaiwa, sicherlich einer der Größten, die es je gegeben hat. Seine Fähigkeit, sich in den Fisch zu versenken, seine Qualität und Beschaffenheit mit dem bloßen Auge zu erkennen, war auf dem ganzen Tsukiji legendär. Er konnte Dinge sehen, die andere nicht sahen. Deshalb ist es doch nur natürlich, dass er in einem Buch darüber auftaucht.«
Kieffer zog an der Ducal, die sich in seinen Mundwinkel geschlichen hatte. Was hatte Mifune wohl gesehen, als er einen von Trebarca Silvas speziellen Thunfischen filetierte? Mehr als Toro und Alvarez? Vermutlich viel mehr. »Ich verstehe.« Er schaute den Japaner prüfend an. »Was ich allerdings nicht verstehe, ist Folgendes: Wieso haben Sie mir nichts davon gesagt, dass Mifune selbst groß ins Thungeschäft einsteigen wollte? In Handel und Aufzucht?«
»Ich verstehe nicht, was Sie … ahhhh!«
Honda befand sich ungefähr in derselben Gewichtsklasse wie Xavier Kieffer. Der Maître war zwar deutlich kleiner als der Koch, dafür aber umso korpulenter. Beim Boxen hätte man beide wohl in die Cruiserkategorie einsortiert. Aufgrund seiner einem aufgequollenen Reisbällchen nicht unähnlichen Statur fehlte es dem Japaner
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