Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
jedoch an Beweglichkeit, zumal in der sitzenden Haltung, die er eingenommen hatte. Kieffer war es somit ein Leichtes, zwei Schritte auf sein Gegenüber zuzumachen, und diesen samt des Bürostuhles in eine Ecke deskleinen Raumes zu drücken, bevor der Japaner irgendwie reagieren konnte. Weil der Koch für dieses Manöver seinen Ellenbogen sowie sein volles Körpergewicht einsetzte, wurde Honda nach hinten geschleudert, sein Kopf touchierte mit einem hässlichen Scheppern ein Metallregal. Außerdem blieb ihm die Luft weg. Diesen Umstand nutzte Kieffer, um eine Hand des Mannes zu packen und auf den Schreibtisch zu drücken.
Honda rief nicht um Hilfe, versuchte aber, sich zu wehren. In Hollywoodfilmen beherrschten Asiaten, zumal die verschlagenen, stets exotische Kampfsportarten. Im realen Leben schien das nicht der Fall zu sein. Hondas Selbstbefreiungsversuche wirkten auf den Koch wenig überzeugend. Das lag nicht nur an den fehlenden Karatekenntnissen des dicken Maîtres. Erschwerend hinzu kam für Honda, dass Kieffer viel mehr Kraft besaß, als seine Statur andeutete. In seiner Jugend war er ein leidenschaftlicher Fußballer gewesen, und auch wenn Jahrzehnte guten Essens seinen Körper weicher und fülliger hatten werden lassen, versteckten sich irgendwo unter den Fettschichten immer noch Muskeln. Nicht mehr die eines Ausdauersportlers. Sondern, seinem Beruf entsprechend, die eines Menschen, der regelmäßig Rinderkeulen und Kartoffelkisten stemmte. Honda konnte somit nichts tun, außer ängstlich zu schnaufen.
Kieffers Zorn war noch immer so groß, dass er ernsthaft darüber nachdachte, seine schlimmste Waffe gegen den Japaner einzusetzen: die Hände. Die meiste Kraft braucht ein Koch in den Händen, vor allem dann, wenn er selbst Rehhälften zerlegt, Markknochen aufbricht oder stundenlang Strudelteig knetet. Noch mehr manuellen Mumm erforderte es, Austern zu knacken. Deren Schließmuskeln konnten einen enormen Druck ausüben, und man musste sie als Poissonnier mit den Händen und einem dünnen Messer aufhebeln, Hunderte Male am Abend, Tag für Tag. Man bekam davon eine Handmuskulatur, die Freeclimber neidisch machte. Kieffer war ein Meister im Austernknacken. Und im Vergleich zu den widerspenstigen Meeresfrüchten waren Hondas Fingerglieder kaum mehr als Grissinistängchen.
»Ihr Onkel hat mit Trebarca Silva eine Firma gegründet.« Seine Rechte umschloss Hondas Mittelfinger.
»Davon hat er mir nie …«
»Mag sein, dass er Sie selten ins Vertrauen zog. Aber Sie haben doch Finanzen studiert, haben Sie zumindest letztes Mal behauptet. Dass er Sie dann bei solch einem komplizierten Investmentdeal nicht gefragt haben soll – das glaube ich Ihnen nicht.« Kieffer packte fester zu und zog. Fingergelenke knackten. Honda schrie.
»Hören Sie auf! Ja, er und dieser Silva wollten zusammen eine Thunranch eröffnen. Dafür haben sie Geld von japanischen Investoren eingesammelt. Silva sollte gemeinsam mit einer Partnerfirma aus Tokio das Operative machen. Er hat behauptet, er könne aufgrund neuer Zuchtmethoden weiterhin guten Fisch liefern, auch wenn es in ein paar Jahren keinen Bluefin mehr gibt. Oojiki stand mit seinem Namen ein, garantierte den Geldgebern japanische Qualität.« Kieffer fiel auf, dass ihn Honda nicht gefragt hatte, wer denn dieser Trebarca Silva eigentlich sei. Offenbar wusste er genau, um wen es sich handelte, was den Koch freilich nicht sonderlich verwunderte. Anscheinend war dieser Thundeal auch finanziell ein fragwürdiges Projekt, darauf deuteten zumindest die Ermittlungen der französischen Behörden hin, von denen ihm Allégrets Schwester erzählt hatte. Kieffer nahm an, dass Honda bei ihrem letzten Gespräch gelogen hatte, um die finanziellen Schweinereien seines verstorbenen Onkels unter der Decke zu halten. Wie auch immer: Damit war jetzt Schluss.
»Und wie weit ist dieses Projekt?« Als Honda kurz zögerte, bewegte Kieffer dessen Finger in eine von der Natur nicht vorgesehene Richtung. Wieder jaulte der Japaner auf.
»Die Investoren haben eine hohe Summe investiert, viele Milliarden Yen. Sie sind zudem an der technischen Umsetzung beteiligt. Ich glaube, das Ganze ist noch in einer Testphase, die Details kannte nur mein Onkel, ich schwöre es. Ich habe nur an den finanziellen Aspekten mitgearbeitet.«
»Dann wissen Sie sicherlich auch, wer die Investoren sind.«
»Nein, ich kann …«
Kieffer riss der Geduldsfaden und Honda rissen mehrere Fingersehnen. »Die Namen! Dann sind Sie mich
Weitere Kostenlose Bücher