Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Die sind nicht so nickelig mit ihrer Auflösung wie die Amis. Außerdem gibt es inzwischen Daten von Satelliten aus Russland, China und natürlich Europa. Wir kaufen das ganze Zeug auf und jagen es durch den Rüttelwürger.«
»Was soll das bedeuten?«
»Wir legen die Fotos im Rechner übereinander und gleichen sie miteinander ab. Die Japaner haben einen revisit cycle von drei bis elf Tagen. Sobald wir die Fotos haben, gehen sie auf die Server. Zusammen mit all den anderen Sekundärquellen generieren wir so Bilder der gesamten Erdoberfläche, die nie älter sind als eine Woche. Und außerdem«, er machte eine Kunstpause, »speichern wir den gesamten Verlauf.«
Er klickte etwas herum und das Bild des »Deux Eglises« verschwand, nur um kurz danach wieder aufzutauchen. Das ganze Restaurant war nun weiß überzuckert,ebenso wie der dahinter liegende Hang. »Sehen Sie die Datumseinblendung? Das war am 1. Januar. Und jetzt Film ab.«
Mit offenem Mund starrte Kieffer auf den Schirm und sah, wie sich das »Deux Eglises« im Zeitraffer veränderte. Die Übergänge waren nicht ganz fließend, sie glichen eher einem Daumenkino. Der Schnee verschwand, der Hang wurde grün. An jener Stelle des Dachs, wo er im März einige Schindeln hatte austauschen lassen, erschien ein heller Fleck. Zuletzt materialisierten sich die Bäume vor seiner Tür.
Der Programmierer schaute ihn beifallheischend an. »Nicht schlecht, was?«
Kieffer zündete sich eine Zigarette an und murmelte: »Das ist eine verdammte Zeitmaschine.«
»Im Prinzip ja, aber je weiter wir zurückgehen, umso lückenhafter und grobkörniger wird natürlich das Bildmaterial. Aber die letzten drei Jahre sind eigentlich ziemlich gut.«
In diesem Moment wurde Kieffer klar, dass sein Wifieine hervorragende Investition gewesen war. Und dass er die Kosten eigentlich François Allégret in Rechnung stellen sollte.
»Können Sie mir noch eine andere Stelle zeigen?« Kieffer zog sein Portemonnaie aus der Tasche und hielt dem Hipster einen zerknitterten Zettel hin. »Diese Koordinaten hier.«
Der Mann lachte. »Was ist das, eine geheime Militärbasis?«
»Nein, eher ein mögliches Ausflugsziel. Vor Sizilien.«
»Sizilien? Schick! Einen Moment.«
Er tippte die Koordinaten ein. Wenige Sekunden später tauchte die Isoletta di Bonaccia auf dem Bildschirm auf. Sie sah genauso aus wie auf Valéries Handy. Zumindest so lange, bis der Programmierer heranzoomte. »Da wollen Sie Urlaub machen? Sieht mir nicht sehr idyllisch aus.«
Wo er recht hatte, hatte er recht. Die karge, nur mit etwas Gestrüpp bewachsene Felsinsel bot etwaigen Strandurlaubern nur sehr wenig Platz. Das lag vor allem an einem weißen, aus mehreren ineinander verschachtelten Rechtecken bestehenden Gebäude, das fast die gesamte Insel bedeckte. Höchstens 25 Prozent der Isoletta mochten unbebaut sein. Der Rest wurde von flachen Hallen, Straßen, gepflasterten und asphaltierten Verlade- oder Rangierplätzen eingenommen. Kieffer erkannte ein paar kleinere Fahrzeuge, vermutlich Quads. An der Nordseite gab es einen Steg, der weit ins Wasser ragte sowie einen Kran. Das wohl seltsamste auf der Karte waren jedoch mehrere kreisförmige Gebilde, die, umgeben von den Lagerhallen, in einem Innenhof aufgereiht waren. Sie waren perfekt rund und von dunkler Farbe. »Können Sie da mal näher rangehen?«, bat er den Programmierer.
»Klaro. Was ist das?«
Der Bildschirm wurde nun fast vollständig von den Kreisen ausgefüllt. Bei genauerer Betrachtung entpuppten sie sich als sphärenförmige Kuppeln, die wie halbierte Pampelmusen unter der sizilianischen Sonne brieten. Die Halbkugeln waren mit einer mattschwarzen Beschichtung überzogen, die an einigen Stellen Falten warf, vermutlich eine Plastikplane.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Kieffer. Die Ausmaße der Gebilde waren auf dem kleinen Laptopscreen schwer abzuschätzen. Weil es außer den umliegendenLagerhallen kaum andere sichtbare Objekte gab, fehlte ihm jeder Anhaltspunkt. »Kann man von der Auflösung auf die Größe schließen?«
»Logo. Moment, wir sind jetzt bei 1:200.« Der Hipster markierte mit dem Mauszeiger einen Punkt an der Außenkante einer Kugel. Dann zog er von dort eine Linie zu der gegenüberliegenden Außenkante. »So. Also, diese Mottenkugeln haben einen Durchmesser von 56 Metern.«
»Sind Sie sicher?«
»Nageln Sie mich nicht auf einen Meter mehr oder weniger fest, sehr frühe Alphaversion der Software. Aber mehr als fünf Prozent Abweichung
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