Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
blätterte zu einer Karte, die den gesamten Mittelmeerraum zeigte. Unterhalb der Alpen ragte Italien ins Mare Mediterraneo, südlich des Stiefels befand sich Sizilien. Das Land ähnelte einem riesigen, nach links gebogenen Angelhaken. Die italienische Küste bildete die Ostgrenze des Tyrrhenischen Meers. Im Westen endete es vor Korsika und Sardinien, im Süden vor Tunesien. Zwischen diesen Landmassen befand sich ein in etwa rechtwinkliges Dreieck, so groß wie Österreich und die Schweiz zusammen. Irgendwo dort lag Trebarcas Insel. Er suchte eine Sizilienkarte mit größerem Maßstab heraus und versuchte, darauf die Insel zu finden. Es gelang ihm nicht, sie war anscheinend nicht verzeichnet. Aus der Erinnerung an die Computerbilder des Hipsters schätzte er, dass sie um die 50 Kilometer westlich Siziliens liegen musste. Kieffer nahm einen Kugelschreiber und machte ein Kreuz, mitten im Tyrrhenischen Meer. Er schaute auf die Uhr. Es war schon nach zehn, dennoch beschloss er, Alvarez anzurufen. Vermutlich war der Fischpolizist wie jeder gute Spanier um diese Zeit noch hellwach und hatte nicht einmal mit dem Abendessen begonnen. Alvarez ging bereits nach dem zweiten Klingeln an sein Handy.
»Xavier! Guten Abend«, sagte er in seinem mit spanischem Akzent durchsetzten Französisch.
»Hallo Pedro, entschuldigen Sie, dass ich so spät anrufe.«
»Das macht nichts, ich bin noch im Büro. Sie wollen vermutlich wissen, ob es etwas Neues von Ihrem Thun gibt.«
»Das auch.«
Alvarez schnaubte. »Ich sehe schon, Sie wollen mir wieder ein Loch in den Bauch fragen. Kein Problem, er ist schließlich groß genug. Ihr Bluefin ist noch im Labor, aber was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass er auf einer Zuchtfarm lebte.«
»Ihre Vermutung hat sich also bestätigt.«
»Ja, wie zu erwarten. Wir haben ein paar Medikamente gefunden, die man Zuchttieren gemeinhin verabreicht. Wegen der gedrängten Käfighaltung sind die Fische anfälliger für Krankheiten, deshalb kippt man Antibiotika in die Reusen.«
»Und damit war Silvas Bluefin verseucht?«
»Verseucht würde ich nicht sagen. Antibiotika im Fisch sind keine schöne Sache, aber bei der Aufzucht dieses Thun wurden sie in einem vertretbaren Maß eingesetzt. Die Restmengen im Fleisch sind marginal, in jedem schottischen Aquakulturlachs ist mehr drin, in ostasiatischen Tigergarnelen sowieso. Insoweit alles okay. Was man allerdings von den Wachstumshormonen nicht sagen kann.«
»Die haben Sie auch gefunden?«
»Unser Chemiker hat den begründeten Verdacht, dass Wachstumshormone, Mastbeschleuniger, und eventuell auch synthetische Vitamine eingesetzt wurden. Er ist aber mit den Tests noch nicht ganz fertig. Das größte Rätsel ist jedoch aus unserer Sicht die Ernährungsweise des Tieres.«
Kieffer lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne und suchte zwischen Menüausdrucken und Weinkatalogen nach seinen Ducal. »Haben Sie da ebenfalls Rückstände gefunden?«
»Nein, das ist es ja. Überhaupt keine.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sie erinnern sich doch daran, was ich Ihnen über die Essgewohnheiten von Bluefins erzählt habe, oder?«
»Dass sie fressen wie die Scheunendrescher und nur feinste Kost mögen?«
»Richtig. Und wenn man so einen Fisch auseinandernimmt, dann kann man feststellen, ob er sich vor allem von Tintenfisch aus dem Atlantik ernährt oder eher Sardinen aus dem Mittelmeer gefuttert hat. In der Regel findet man zum Beispiel Würmer oder andere Parasiten, die Aufschluss über die Fressgewohnheiten des Tieres geben. Oder hohe Konzentrationen bestimmter Schadstoffe. Aber hier – nichts dergleichen. Dieser Thun hat sich anscheinend nur von Luft und Liebe ernährt.«
»Oder von synthetischem Futter. Erinnern Sie sich an den Lieferschein, den ich Ihnen gezeigt habe, Pedro.«
Der Spanier schwieg einen Moment, bevor er antwortete. »Alles in mir sträubt sich gegen diese Hypothese. Wie ich Ihnen bereits lang und breit erklärt habe, kann man Thun nicht züchten.«
»Das haben Sie nicht gesagt. Sie haben gesagt, es ginge theoretisch, wäre aber finanzieller Selbstmord. Ich habe Hinweise darauf, dass unser Thunbaron in großem Stil mit Yatsuishi zusammenarbeitet. Was, wenn Trebarca Silva und dieser Konzern eine Möglichkeit gefunden hätten, das ganze betriebswirtschaftlich rentabel zu machen, indem sie das Futterproblem lösen?«
»Sie haben zu viel Fantasie, Xavier.«
»Nein. Ich habe Satellitenbilder von der geheimen Zuchteinrichtung gesehen, wo
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