Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Ägadischen Inseln vor der Westküste Siziliens, und wie ihre kleineren Schwestern Marettimo und Levanzo war sie bei Urlaubern äußerst beliebt. Die Fahrt dauerte nicht einmal eine Stunde. Als sie näher kamen, konnte er sehen, dass Favignana im Wesentlichen aus einem langgezogenen Berg bestand, vermutlich einem erloschenen Vulkan. Links und rechts davon breiteten sich zwei Ebenen aus, wie die Flügel eines kolossalen, steinernen Schmetterlings. Kieffer sah Steilküsten, karstige Hügel und weiß gekalkte Häuschen, die in der Abendsonne goldfarben glänzten. Sie gruppierten sich um ein Hafenbecken voll türkisfarbenen Wassers, auf das die Fähre nun zusteuerte. Mit einem infernalischen Ächzen öffnete das Schiff kurz darauf sein Maul und spie die Fahrzeugevon Kieffer und etwa 50 anderen Passagieren aus. Außer ihm waren es augenscheinlich alles Touristen, die Autos vollgestopft mit Wasserbällen, Tauchausrüstungen und aufgekratzten Kindern. Er fuhr aus dem Hafen heraus, und versuchte vergeblich, irgendwo in den engen Gässchen zu parken. Nachdem er bereits zwanzig Minuten durch das Städtchen geirrt war, öffnete sich eine besonders schmale Gasse auf eine Piazza mit Cafés und Geschäften hin. Kieffer stieg aus und blinzelte in die schräg stehende Abendsonne. Dann ging er zu einer der Bars und fragte einen Einheimischen nach der Pension, in der er ein Zimmer gebucht hatte. Alle Versuche, sein Anliegen auf Englisch und Französisch vorzubringen, scheiterten. Deshalb sagte er einfach: »Da Marta, Piazza Calvario.«
»È qui«, antwortete der Mann und zeigte auf ein weißes Haus mit dunkelgrünen Fensterläden direkt gegenüber. Kieffer bedankte sich und ging auf das Gebäude zu. Beim Näherkommen bemerkte er, dass die Quader, aus denen das Haus sowie alle angrenzenden bestanden, nicht gekalkt waren, wie er aus der Ferne vermutet hatte. Stattdessen waren sie aus makellos weißem Tuffstein. Er klingelte und wurde kurz darauf von einer freundlichen alten Dame mit einem Dutt und unzähligen Lachfältchen empfangen, die ihn überschwänglich auf Italienisch oder Sizilianisch begrüßte. Signora Marta begleitete ihn die Treppe hinauf in sein Zimmer und erklärte ihm dabei in gebrochenem Französisch die Hausregeln.
»Ich hätte noch eine Frage, Signora. Wo finde ich die Tonnara? Ich suche einen Antoniu Gallo, der dort arbeitet.«
»Sie ist unten am Wasser, links vom Hafen. Aber Sie werden den Raís dort nicht finden.«
»Warum nicht?«
Sie machte eine Geste in Richtung des Hafens. »Es ist Fangsaison, die Männer sind draußen, den ganzen Tag, oft sogar nachts, um die Netze im Auge zu behalten. Wenn Sie an den Rand der Piazza gehen, dort, wo die Madonna steht, dann können Sie die Reusen sogar sehen.«
Kieffer bedankte sich und ging wieder hinaus auf die Piazza. Inzwischen musste es etwa halb neun sein, fast alle Plätze waren mit meist älteren Männern besetzt, die ihren Campari oder einen anderen Aperitif genossen und sich dabei unterhielten. Er bestellte einen Cynar auf Eis, aß dazu ein paar Oliven und rauchte an der Bar stehend zwei Ducal. Weil es ohnehin keinen Sitzplatz mehr gab, schlenderte er mit einem zweiten Drink in der Hand hinüber zur Westseite der Piazza. Es war die einzige, an der keine Gebäude standen. Stattdessen hatte man von der balkonartigen, hüfthohen Tuffsteinmauer einen spektakulären Blick über den Hafen. Kieffer musste seine Augen mit der Hand beschatten, denn er blickte genau in Richtung der untergehenden Sonne, als er das funkelnde Wasser nach den Fischreusen absuchte, die Signora Marta erwähnt hatte. Dann sah er sie. Links des Hafens, rund anderthalb Kilometer vor der Küste, waren etwa 15 Fischerbötchen vertäut. An mehreren Stellen ragten bunt bemalte Stangen aus dem Wasser. Dazwischen befand sich ein rechteckiges Gebilde, dessen Größe er aufgrund der Entfernung nur schwer abschätzen konnte. Es mochte vielleicht 50 oder 60 Meter lang und halb so breit sein. Das Ganze sah aus wie ein Schwimmponton, mit begehbaren Stegen an den Außenseiten, welche ein gutes Stück über die Meereslinie hinausragten. In der Mitte schimmerte das Wasser. Mehrere Männer liefen auf den Stegen hin und her und schienen irgendetwas zu überprüfen.
Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Raís. Niemand nahm ab. Kieffer hinterließ eine Nachricht und erklärte, er werde sich morgen früh am Hafen einfinden. Dann steckte er das Gerät weg und nahm noch einen Schluck Cynar. Er
Weitere Kostenlose Bücher