Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Tabak aus der Tasche seiner Regenhose und begann, seine Pfeife zu stopfen. »Außerdem«, fügte der Sizilianer hinzu, »kriegen Sie die Spezialtour von Onkel Felipo. Auf unserem eigenen kleinen Boot, ohne die anderen.«
»Welche anderen?«, fragte Kieffer. »Touristen?«
Zu Felipo nickte und deutete mit der Rechten in Richtung eines Ausflugsschiffs, das aus dem Jachthafen kam und auf den Ponton zusteuerte. Es war voll beladen mit Menschen, wohl an die hundert. Alle waren mit Kameras und Sonnenhüten bewaffnet.
»Ich wusste nicht, dass die Mattanza solch ein Touristenspektakel ist.«
»Aber ja. Manche sagen, sie ist nur noch das. Aber jetzt müssen wir los.«
Der Fischer führte Kieffer zu einem nahegelegenen Anleger, an dem ein kleines Boot mit Außenborder vertäut war. »In der Kiste hinter sich finden Sie eine Öljacke. Und Sonnencreme.«
»Ich verbrenne nicht so schnell«, erwiderte Kieffer.
»Wir werden mindestens sechs Stunden da draußen sein. Nach so langer Zeit auf dem Wasser war noch jedes Nordlicht gar.«
Sie fuhren los. Wenige Minuten später drosselte Zu Felipo den Motor und machte das Boot an einer Boje fest, etwa 20 Meter von dem Ponton entfernt. Dieser war deutlich größer, als Kieffer aus der Entfernung geschätzt hatte. Die Längspartie maß wohl an die hundert Meter, das kurze Ende etwa dreißig. An drei Seiten der schwimmenden Plattform waren lange, offene Boote festgemacht. An der vierten befand sich etwas, das wie eine Art Schleuse aussah. Dort ragten Handgriffe aus dem Holzsteg, die man offenbar hochziehen konnte. Zu Felipo setzte sich neben ihn und baute vor ihnen einen kleinen Gaskocher auf. Darauf stellte er eine Espressokanne. Nachdem sie beide einen Plastikbecher dampfenden Kaffees in der Hand hielten, erklärte der Sizilianer: »Die Ciurma, das ist die Mannschaft, ist bereits vollständig. Der Raís ist auch schon da.«
Kieffer musste nicht fragen, welcher der Männer der Anführer war. Der Raís stand in einem kleinen Boot, das in der Mitte des Beckens dümpelte, zeigte hierhin und dorthin, bellte Anweisungen. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein, war bärtig und hatte tiefschwarzes Haar. Auch er trug Ölzeug, aber anders als seine Männer hatte er eine vollständige Montur angelegt, inklusive einer Südwestermütze, alles in dottergelber Farbe.
»Ist dieses Becken die Todeskammer?«, fragte Kieffer.
»Die camera della morte, sì. Sehen Sie die Stäbe, die dort aus dem Wasser ragen? An denen können Sie ablesen, wo die verschiedenen Reusen sind.«
Kieffer schaute sich um und sah Dutzende der mit Palmwedeln verzierten Stäbe, einige davon weit entfernt. »Wie groß ist denn diese Reuse?«
Zu Felipo zeigte erst gen Westen, dann gen Osten.»Das Reusensystem erstreckt sich die ganze nördliche Küste von Favignana entlang, bis zur kleinen, unbewohnten Isla di Maraone. Es besteht aus drei Teilen. Die Costa Bassa ist 1500 Meter lang, die Costa Alta 2000 und die Dritte, die Spada di Orlando, noch mal 1500 Meter. Die Fische kommen von Nordosten her und schwimmen auf den Hafen zu, und dann in das Netz hinein.«
»Und befinden sich die Thunfische jetzt bereits in der Todeskammer?«
»Nein. Die Männer haben sie zunächst in die Bastardella gelotst, die letzte Kammer davor. Sehen Sie das spicu, das Kreuz?« Das Kreuz war nicht zu übersehen, es dominierte den Ponton. Es war an einem drei Meter hohen Pfahl festgemacht und bestand aus vielen kleinen Tafeln, die verschiedene Heilige zu zeigen schienen.
»Dort, unterhalb des spicu, ist das Schott, durch das die Fische gleich in die Todeskammer gelotst werden. Danach muss man es rasch wieder schließen. Denn Thunfische sind misstrauisch. Und sie sind sehr schnell.«
Kieffer blickte hinüber. Er sah, wie die Fischer feixten, einander auf die Schultern klopften. Der Raís war der Einzige, der nicht lächelte. »Wann wird die Schleuse geöffnet?«
Zu Felipo zuckte mit den Schultern. »Wenn der Raís es befiehlt.«
Die nächsten zwei Stunden passierte nichts. Sie dösten in der Morgensonne. Dann sah Kieffer, dass die Männer auf dem Ponton plötzlich in Bewegung gerieten. Sie zogen aus den Booten hinter sich hölzerne Stäbe, an deren Enden man große metallene Haken befestigt hatte. Ihm fiel auf, dass deren Stiele unterschiedlich lang waren. Sie sahen genauso aus wie jene,die er auf dem Foto in Prezzemolos Pariser Stammcafé gesehen hatte. Bevor er fragen konnte, antwortete Felipo bereits. »Das sind die Gaffs. Damit ziehen die
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