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Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Titel: Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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ließ den bitteren Artischockenlikör die Kehle hinunterrinnen und betrachtete versonnen das Marienbildnis, welches Signora Marta erwähnt hatte. Das Bild war in einen hohen Denkmalsockel eingelassen, der, wie offenbar so ziemlich alles auf dieser Insel, aus Tuffstein bestand. Die Madonna war eine sizilianische Schönheit, mit dunklem Teint und maurischen Gesichtszügen, das lange schwarze Haar unter einem tiefblauen Kopftuch verborgen, mit gesenkten Olivenaugen und Adlernase. Die Jesusmutter trug Schmuck, keinen gemalten, sondern echten. Ihr Ohr zierte ein dicker Goldring, auch an ihrer Hand war die Leinwand durchstochen worden, um dort einen weiteren Ring zu befestigen. Kieffer glaubte, einen Saphir zu erkennen. Er trat einen Schritt zurück. Die Maria blickte nicht auf den Platz herab, sondern hinaus aufs Meer. Über ihrem Bildnis waren die drei Kreuze des Kalvarienbergs eingemeißelt. In ihrer Rechten hielt sie einen Anker, dessen metallener Stiel unten in drei gebogene Fluken mit dreieckigen Spitzen auslief, in der Linken das in ein güldenes Tuch gewickelte Jesuskind. Als er sich bereits wegdrehen und zur Bar zurückgehen wollte, fiel ihm auf, dass mit dem Baby etwas nicht stimmte. Es war kein Menschenkind, das die Madonna im Arm wog. Es war ein kleiner Thunfisch.

[Menü]
27
    Am nächsten Morgen wurde Kieffer vom Klingeln seines Handys geweckt. Schlaftrunken griff er danach und schaute auf das Display. Es war noch nicht einmal sechs Uhr.
    »Ja, bitte?«
    Der Anrufer sagte in gebrochenem Englisch: »Signore Kieffer? Hier ist Antoniu Gallo.«
    Der Koch rieb sich die Augen. »Guten Morgen.«
    »Wir können uns heute Abend treffen und sprechen.«
    »Und tagsüber?«
    »Ist Mattanza, wie fast jeden Tag.« Kieffer konnte im Hintergrund das Knattern eines Außenborders und das Geschrei der Möwen hören. »Wollen Sie zusehen?«
    »Ja. Ja, auf jeden Fall.«
    »In einer halben Stunde an der Camparia. So heißt unser Hauptquartier. Fragen Sie nach Zu Felipo.« Dann legte der Raís auf. Kieffer rollte sich ächzend aus dem Bett, zog sich an und machte sich auf den Weg. Er lief den Hang hinab, in Richtung des Hafens. Es war nicht schwer, die Camparia zu finden – die wenigen Menschen, die er zu dieser frühen Stunde an der Mole antraf, wussten alle, wo sich das Bootshaus der Tonnarotti befand. Nach einer Viertelstunde erreichte er die Ansammlung von Sandsteingebäuden, etwas außerhalb des eigentlichen Hafens. Auf dem Platz vor der Camparia lagen Netze und Anker herum. Etwa zwanzig sonnenversengte Männer standen neben dem Haupttor, rauchten und schlürften Kaffee aus Thermoskannen. In der Ferne konnte er auf dem Meer das pontonartige Konstrukt erkennen, das er am Vorabend von der Piazza aus gesehen hatte. An der Camparia ankerten nur wenige Boote. Die meisten waren bereits draußen auf dem Meer.
    Kieffer ging auf die Männer zu. Sie trugen löchrige T-Shirts und Latzhosen mit dunklem Gummiüberzug. Ihre Hälse zierten Goldketten mit schweren pyramidenförmigen Anhängern aus einem honigfarbenen Material – Haifischzähne, wie Kieffer glaubte. Wieder hatte er mit Englisch und Französisch kein Glück. Die Wortwechsel, die er aufschnappte, ließen ihn zudem vermuten, dass die Männer untereinander nicht einmal Italienisch sprachen, sondern sizilianischen Dialekt. Also sagte er nur »Zu Felipo«, worauf einer der Fischer auf einen älteren Mann deutete, der in etwa 50 Metern Entfernung Pfeife rauchend auf einem Poller saß. Kieffer ging auf ihn zu. Felipo mochte 60 Jahre alt sein, vielleicht auch älter. Er war groß, beinahe hünenhaft, mit muskulösen Armen und einem von reichlich Weiß durchzogenen Vollbart. Als er Kieffer sah, entblößte er ein bernsteinfarbenes Pferdegebiss, hob die Hand zum Gruß und stand auf. Während der Mann auf ihn zukam, merkte der Koch, dass Zu Felipos rechtes Bein steif war. Wie ein Stevenson’scher Seeräuberkapitän hinkte er auf ihn zu und sagte: »Moin moin, Herr Kieffer. Der Raís hat Sie angekündigt.«

    Einen Moment lang verschlug es Kieffer die Sprache, denn Zu Felipo sprach Deutsch, und das nicht einmal schlecht. Als der Mann die Verwunderung in seinem Gesicht bemerkte, sagte er: »Zehn Jahre auf der Werft. Bremer Vulkan. Dann ging der Laden pleite. Aber es war mir da oben sowieso zu kalt. Bin ein Frostköddel. Sie wollen die Mattanza sehen?«
    »Ja, so ist es.«
    »Da haben Sie Glück. Nächste Woche kann es schon vorbei sein, wenig Fang dieses Jahr.« Er fischte eine Packung

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