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Rotkäppchen und der böse Wolf

Rotkäppchen und der böse Wolf

Titel: Rotkäppchen und der böse Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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bezwingend. Dieses junge Wesen strömte Kraft und Jugend aus. Um eines solchen Mädchens willen konnte ein Mann leicht den Kopf verlieren.
    »Sie meinen, ein schöner Abend, wenn nicht Krieg wäre?«, fragte er.
    »Ich hasse den Krieg.«
    »Jeder Mensch hasst ihn.«
    »So habe ich es nicht gemeint. Ich hasse das dumme, heuchlerische Geschwätz über den Krieg, die Überheblichkeit, die Selbstgerechtigkeit, den unausstehlichen, widerlichen Patriotismus.«
    »Widerlichen Patriotismus?« Tommy war sprachlos.
    »Ja, ja, ich hasse den Patriotismus – muss ich es noch einmal sagen? Immer und überall heißt es: unser Land, unser Land. Verrat an unserem Land, sterben für unser Land, er dient unserem Land. – Ist denn das Vaterland immer das wichtigste?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Tommy schlicht, »aber es wird wohl so sein.«
    »Für mich nicht!«, fuhr Sheila auf. »O ja, für euch vielleicht. Ihr fahrt im Britischen Empire umher und kauft ein und verkauft, ihr kommt braun gebrannt zurück und redet über Eingeborene und indische Götzen und… und…«
    »Ganz so schlimm bin ich hoffentlich nicht, liebes Kind«, sagte Tommy freundlich.
    »Vielleicht habe ich ein bisschen übertrieben, aber Sie wissen schon, was ich meine. Sie glauben an das Britische Empire und an die Dummheit, dass man fürs Vaterland sterben soll.«
    »Mein Vaterland«, sagte Tommy trocken, »ist leider gar nicht so versessen auf meinen Heldentod.«
    »Ja, aber Sie selbst sind versessen darauf. Wie verbohrt das ist! Nichts auf der Welt ist es wert, dass man dafür stirbt. Das ist alles nur Gerede, Phrasen, hohles Idiotengeschwätz. Mein Vaterland bedeutet mir nichts, keinen Pfifferling!«
    »Und eines Tages werden Sie zu Ihrer Überraschung merken, dass es Ihnen doch etwas bedeutet.«
    »Nein, niemals. Ich habe zu viel gelitten, zu viel gesehen…« Sie brach ab. Dann wandte sie ihm mit einer raschen Bewegung den Kopf zu. »Wissen Sie, wer mein Vater war?«
    »Nein.« Tommys Interesse wuchs.
    »Er hieß Patrick Maguire. Er… er war im vorigen Krieg ein Anhänger von Sir Roger Casement. Wurde als Verräter erschossen! Und das alles für nichts… für ein Phantom… er hatte sich mit andern Iren in diesen so genannten Heroismus hineingeredet. Warum konnte er nicht ruhig und vernünftig daheimbleiben? Warum musste er sich um Dinge kümmern, die ihn nichts angingen? Jetzt nennen ihn die einen einen Märtyrer und die andern einen Verräter. Dabei war er nur – dumm!«
    Der so lange gewaltsam unterdrückte Aufruhr kam plötzlich und mit unerwarteter Heftigkeit zum Ausbruch.
    »Unter diesem Albdruck sind Sie also aufgewachsen?«, fragte Tommy.
    »Albdruck – ja, das war es. Mutter hat dann ihren Namen geändert. Ein paar Jahre lebten wir in Spanien. Mutter erzählt überall, ihr Mann sei Halbspanier gewesen. Immer Lügen, nichts als Lügen. Von einem Land ins andere sind wir gezogen. Überall haben wir Lügen erzählt, auf dem ganzen Kontinent. Schließlich kamen wir hierher, und nun führen wir diese Pension. Das ist vielleicht das Widerlichste von allem.«
    »Und wie denkt Ihre Mutter über diese Dinge?«
    »Sie meinen – über den Tod meines Vaters?« Sheila runzelte die Stirn und schwieg verwirrt. »Ich habe mir darüber nie recht klar werden können«, sagte sie dann langsam. »Sie spricht nicht davon. Bei Mutter weiß man nie, was sie denkt und fühlt.«
    Tommy nickte nachdenklich.
    »Warum schwätze ich eigentlich soviel und erzähle Ihnen das alles?«, sagte Sheila schroff. »Wie bin ich dazu gekommen? Was hat mich so aufgeregt? Worüber sprachen wir denn?«
    »Über Edith Cavell.«
    »Ach ja, der Patriotismus. Ich kann ihn nicht ausstehen.«
    »Wissen Sie, wie Edith Cavells letzte Worte lauteten?«
    »Nein.«
    »›Patriotismus ist nicht genug… Ich muss mein Herz von Hass frei halten‹«, sagte Tommy langsam.
    »Oh!« Sie stand betroffen da und sah ihn an.
    Dann drehte sie sich rasch um und entfloh ins Dunkel des Gartens.
     
    »Du siehst also, Tuppence, es passt alles ausgezeichnet zueinander.«
    Sie wiegte nachdenklich den Kopf. Die kleine Bucht war menschenleer. Tuppence lehnte sich gegen einen Wellenbrecher, Tommy saß erhöht auf einem andern, sodass er das ganze Kommen und Gehen auf der Strandpromenade verfolgen konnte. Allerdings hatte er sich vorher vergewissert, was die einzelnen Pensionsgäste an diesem Morgen unternehmen wollten. Außerdem trug das Beisammensein mit Tuppence völlig den Stempel einer zufälligen Begegnung

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