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Rotkäppchen und der böse Wolf

Rotkäppchen und der böse Wolf

Titel: Rotkäppchen und der böse Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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eigentlich von dieser Pension?«
    Tuppence sprudelte etwas unbestimmt Wohlwollendes hervor, doch Mrs O’Rourke unterbrach sie ziemlich schroff.
    »Das meine ich nicht. Sagen Sie, finden Sie nicht auch, dass hier irgendetwas nicht stimmt?«
    »Nicht stimmt? Nein, davon habe ich nichts bemerkt.«
    »Und Mrs Perenna? Sie interessieren sich doch für sie. Sie beobachten sie dauernd, wie ich bemerkt habe.«
    Tuppence errötete.
    »Sie… nun, sie ist doch eine interessante Frau.«
    »Gar nicht«, entschied Mrs O’Rourke, »eine ganz alltägliche Person, falls… sie wirklich das ist, was sie scheint. Aber vielleicht ist sie’s nicht. Nicht wahr?«
    »Ich muss sagen, Mrs O’Rourke, ich verstehe Sie nicht. Was meinen Sie eigentlich?«
    »Nun, man scheint nach außen hin eine bestimmte Person zu sein; aber in Wirklichkeit steht die Sache ganz anders. Da ist zum Beispiel dieser Mr Meadowes; aus dem werde ich auch nicht klug. Manchmal ist er der typische Engländer, dumm und durchschnittlich bis auf die Knochen; und dann fange ich wieder einen Blick von ihm auf, oder er sagt ein Wort – und das ist alles andre als dumm. Recht merkwürdig, finden Sie nicht auch?«
    »Ich finde Mr Meadowes sehr typisch«, gab Tuppence bestimmt zurück.
    »Und dann noch… aber vielleicht wissen Sie schon, wen ich meine?«
    Tuppence schüttelte den Kopf.
    »Der Name fängt mit S an«, sagte Mrs O’Rourke ermunternd. Sie nickte mehrmals mit großem Nachdruck und blickte Tuppence dabei erwartungsvoll in die Augen.
    Plötzlich wurde es Tuppence zu bunt. Da war ein junges, verletzliches Geschöpf, dem musste man zu Hilfe kommen – sie konnte dem Impuls nicht widerstehen.
    »Sheila ist ein junger Rebell«, sagte sie scharf. »In ihrem Alter ist das ganz natürlich.«
    Mrs O’Rourke nickte immer noch. Ein merkwürdiges Lächeln bog ihre Mundwinkel nach oben.
    »Vielleicht wissen Sie nicht«, sagte sie leise, »dass Miss Minton Sophia heißt?«
    »Oh«, rief Tuppence verblüfft, »Sie sprachen von Miss Minton?«
    »Durchaus nicht«, sagte Mrs O’Rourke.
    Tuppence blickte aus dem Fenster, um ihre wachsende Nervosität zu verbergen. Verflixtes altes Weib – der war sie nicht gewachsen! Mrs O’Rourke verbreitete eine unheimliche Atmosphäre, und Tuppence fühlte fast so etwas wie Angst.
    Dieses lächelnde Ungetüm von einer Frau – da saß sie und schnurrte freundlich wie eine Katze, und doch spürte man die Tatzen und die Krallen, die gut zuzupacken und festzuhalten verstanden…
    Unsinn!, dachte Tuppence. Alles Unsinn, alles Hirngespinste. Und sie starrte in den Garten hinaus. Der Regen hatte aufgehört. Von den Bäumen tröpfelte es sacht hernieder.
    Und doch kann nicht alles Einbildung sein, musste Tuppence wider Willen denken. Ich habe ja gar nicht soviel Fantasie. Irgendetwas lauert hier – etwas Böses. Wenn ich nur wüsste…
    Hier brachen ihre Gedanken ab.
    Hinten im Garten wurden die Büsche vorsichtig auseinander geschoben. Ein Gesicht erschien in der Lücke, ein Gesicht, das unverwandt zum Haus hin starrte – das Gesicht der Fremden, die mit Carl von Deinim auf der Straße gesprochen hatte.
    Es starrte so unbeweglich, so steinern – fast als sei es nicht menschlich. Die Frau starrte, starrte zu den Fenstern der Pension hinauf. Ausdruckslos war ihr Blick und dabei doch zweifellos drohend. Unbeweglich, steinern. In diesem Gesicht, diesem Blick war etwas, das in schneidendem Gegensatz zum Sans Souci und seiner platten, alltäglichen Pensionsatmosphäre stand.
    Nur ein oder zwei Sekunden zögerte Tuppence, dann wandte sie sich hastig vom Fenster ab, murmelte eine Entschuldigung und stürzte aus dem Zimmer, die Treppen hinunter und zur Eingangstür.
    Sie lief den Gartenpfad hinab, nach der linken Seite, wo das Gesicht aufgetaucht war.
    Nichts. Niemand weit und breit. Tuppence teilte die Büsche, trat auf die Straße hinaus und blickte hügelauf und -ab. Niemand – nichts! Wohin mochte die Frau verschwunden sein?
    Ärgerlich kehrte sie um und betrat wieder den Garten. Konnte sie sich die ganze Sache nur eingebildet haben? Nein, die Frau war da gewesen.
    Wie besessen machte Tuppence die Runde durch den Garten und spähte hinter jeden Busch, aber von der fremden Frau war keine Spur zu finden. Von den regennassen Bäumen klatschten schwere Tropfen auf sie herab. Das unheimlich beklemmende Gefühl ließ sie nicht mehr los, als sie sich wieder dem Haus zuwandte – eine gestaltlose, erschreckende Vorahnung von etwas Entsetzlichem, das

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