Rotkäppchen und der böse Wolf
Kebsweiber?«
»Hör bloß auf!« Tuppence bedeckte die Ohren mit den Händen. »Wenn du so redest, verfliegt es ganz. Wenn ich wenigstens wüsste«, sagte sie nach kurzer Pause, »an wen mich das Gesicht der Frau erinnert hat.«
»Welcher Frau? Der Wanda Polonska?«
»Ja. Als ich sie das erste Mal sah, kam mir ihr Gesicht irgendwie bekannt vor.«
»Dann hättest du sie also früher schon mal gesehen? Meinst du das?«
»Gesehen habe ich sie bestimmt noch nie.«
»Mrs Perenna und Sheila sind im Typ vollkommen verschieden.«
»An die habe ich auch nicht gedacht. Übrigens, Tommy, diese beiden – da ist mir auch so allerhand durch den Kopf gegangen.«
»Na und…?«
»Ich weiß nicht. Aber da ist dieser Zettel, den Mrs Sprot auf dem Fußboden gefunden hat, nachdem Betty entführt worden war.«
»Und?«
»Entsinnst du dich? Um einen Stein gewickelt und durchs Fenster geworfen. Das ist natürlich Quatsch! Jemand hat ihn dort hingelegt – Mrs Sprot sollte ihn finden. Ich glaube, das war Mrs Perenna.«
»Also – Mrs Perenna, Wanda Polonska, Carl – du meinst, sie arbeiten alle Hand in Hand?«
»Ja. Und ist dir nicht auch aufgefallen, dass Mrs Perenna gerade im kritischen Augenblick hereinkam? Sie entschied dann, die Polizei nicht anzurufen, sondern nahm gleich die ganze Sache selbst in die Hand.«
»Also tippst du immer noch auf sie für M.?«
»Du etwa nicht?«
»Vielleicht.«
»Tommy, ist dir sonst etwas eingefallen?«
»Vielleicht etwas ganz Abwegiges.«
»Willst du es mir nicht erzählen?«
»Nein, lieber noch nicht. Ich habe noch keinen vernünftigen Anhaltspunkt. Aber vielleicht haben wir gar nicht nach M. zu fahnden, sondern nach N.«
Und wieder versank er in Grübelei: Aber das Kind – wozu brauchten sie das Kind?
Vor dem Sans Souci stand ein Auto mit der Aufschrift »Polizei«.
Tuppence war zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft, um darauf zu achten. Sie betrat das Haus von der Straße her und ging geradewegs nach oben in ihr Zimmer.
Verblüfft blieb sie auf der Schwelle stehen: Eine schlanke hohe Gestalt am Fenster wandte sich bei ihrem Eintreten um.
»Mein Gott«, sagte Tuppence, »Sheila?«
Das Mädchen kam auf sie zu, und Tuppence sah, dass sie totenbleich war; die Augen blickten, tief in die Höhlen gesunken, flammend und tragisch.
»Ich habe hier auf Sie gewartet«, sagte Sheila. »Gottlob, dass Sie endlich gekommen sind.«
»Was ist geschehen?«
Die Stimme des Mädchens bebte vor Erregung. »Carl ist verhaftet worden«, flüsterte es.
»Die Polizei?«
»Ja.«
»Du lieber Gott!«, stieß Tuppence hervor. Was sollte sie nur sagen und tun? Sheila hatte ganz ruhig gesprochen, aber Tuppence wusste, wie ihr zu Mute sein musste.
Gewiss, vielleicht war sie seine Mitverschworene, aber sie liebte Carl von Deinim. Tuppence’ Herz zog sich zusammen vor Mitleid für das verzweifelte junge Ding.
»Was soll ich nur machen?«, fragte Sheila.
Das klang so hilflos, so völlig verloren, dass Tuppence am liebsten geheult hätte.
»Sie haben ihn fortgebracht«, fuhr Sheila fort. »Ich werde ihn niemals Wiedersehen.« Dann schrie sie auf: »Was soll ich tun, was soll ich nur tun?« Sie fiel neben dem Bett auf die Knie und schluchzte herzzerreißend.
Tuppence streichelte den dunklen Kopf.
»Vielleicht ist es gar nicht so schlimm«, sagte sie unsicher. »Möglicherweise soll er nur interniert werden.«
»Nein, das ist es nicht. Jetzt durchsuchen sie sein Zimmer.«
»Aber wenn sie dort nichts finden…«, sagte Tuppence langsam.
»Natürlich werden sie nichts finden! Was sollen sie denn finden?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht wissen Sie etwas?«
»Ich?!«
Ihr Zorn, ihr Erstaunen waren zu echt, das konnte unmöglich Heuchelei sein. Und wenn Tuppence zuvor noch so überzeugt von Sheilas Mitschuld gewesen war, jetzt schwand jeder Verdacht.
»Aber wenn er unschuldig ist…«, begann Tuppence.
Sheila fiel ihr ins Wort: »Als ob es darauf ankäme! Die Polizei wird ihm schon etwas anhängen. Die englische Polizei ist zu allem fähig. Meine Mutter sagt das auch.«
»Vielleicht glaubt Ihre Mutter das, aber sie hat Unrecht. Verlassen Sie sich auf mich: Das stimmt nicht.«
Sheila blickte sie forschend an. »Gut«, sagte sie nach einer Weile. »Sie werden es ja wissen. Ich glaube Ihnen.«
Tuppence fühlte sich recht unglücklich.
»Sie sind zu leichtgläubig, Sheila«, bemerkte sie scharf. »Vielleicht haben Sie auch Carl zu viel geglaubt. Das war nicht klug.«
»Ach, Sie sind
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