Rotkäppchens Rache
solltest du inzwischen wissen.« Sie seufzte. »Ich bin es nicht gewohnt, die zu sein, die nachts nichts Warmes zum Ankuscheln hat.«
»Du armes Ding! Ein ganzer Tag in Arathea, und du hast noch niemanden kennengelernt? Ich nehme an, Roudette könntest du immer fragen.«
»Bring mich nicht dazu, dich zu verfluchen!«
Schnees Tonfall war neckisch, aber unter ihren Worten hörte Danielle noch etwas anderes heraus. »Erzähl mir nicht, du bist eifersüchtig!«
Schnee schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Ich weiß, wie Talia für mich empfindet. Seit über einem Jahr wünschte ich, ich wüsste es nicht. Ich weiß, wie ich mit einem Mann umzugehen habe, der mich will. Wie ich mir einen nehme, den ich will, oder einen loswerde, den ich nicht will. Aber bei Talia ist alles anders. Sie ist meine Freundin. Ich sollte erleichtert sein, dass sie jemanden gefunden hat, um meinet- und um ihretwillen.«
»Und du bist nicht erleichtert?«, fragte Danielle vorsichtig.
»Oh, schon!« Schnee lachte. »Aber schau sie dir an! Ich vermisse dieses Gefühl. Ich hatte das nicht mehr, seit Roland starb. Ich hätte diesen Mann geheiratet, weißt du - wenn meine Mutter ihn nicht umgebracht hätte.«
»Es tut mir leid«, sagte Danielle. Schnee hatte nie wirklich über den Mann gesprochen, den ihre Mutter angeheuert hatte, um ihr das Herz herauszuschneiden. Statt sie zu töten, hatte Roland sich in Schnees Schönheit verliebt. Er hatte Königin Rose ein Hirschherz gebracht, um Schnees Leben zu schützen, aber irgendwann kam Rose hinter seine List und ermordete ihn vor Schnees Augen. »Ich konnte mir nie vorstellen, dass du eine Familie gründest.«
»O Gott, nein!« Schnee lachte wieder. »Ehe ist eine Sache, aber Kinder? Ich habe die Schwierigkeiten gesehen, in die Jakob in einem fort gerät. Ich hätte diesen Jungen schon längst in einen Frosch verwandelt!« Sie seufzte. »Trotzdem wäre es schön, eine solche Liebe noch einmal zu spüren.«
»Lass der Liebe Zeit«, sagte Danielle. »Du kannst sie nicht erzwingen«.
»Das meinst aber auch nur du!« Schnee zog die Hände aus den Ärmeln und wackelte mit den Fingern. Winzige Funken tanzten von ihren Nägeln. »Es gibt vier leicht verständliche Rezepte für Liebestränke und mindestens ein Dutzend weniger klarer Rezepturen. Die verbreitetsten entfalten ihre Wirkung nur kurze Zeit, aber mit den richtigen Zutaten - Meerjungfrauenblut ist eine der besten - kann man -«
»Versprich mir bloß, dass du keinen Kha’iida verzaubern wirst, wenn wir diese Oase erreichen!«, verlangte Danielle, wobei sie wider Willen lachen musste.
»Ich habe sowieso nicht die richtige Ausrüstung dabei, um Tränke zu brauen«, entgegnete Schnee. Danielle konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören. »Aber selbstverständlich sind da auch noch andere Arten der Verzauberungen.«
*
Nach drei Tagen waren ihre Wasservorräte auf einen einzigen Schlauch zusammengeschrumpft. Und trotzdem sich Talia jeden Morgen, bevor Faziya wach wurde, davonstahl und den Tau sammelte, der sich auf den Blättern niederschlug, stand es auf Messers Schneide, ob sie die Kha’iida rechtzeitig erreichen würden, und falls Faziya unrecht damit hatte, wo ihr Stamm sich um diese Jahreszeit aufhielt … Talia versuchte, nicht darüber nachzudenken.
Jede Nacht hielten Roudettes Wölfe Wache über die Gruppe, und Talia hielt Wache über Faziya. Faziya benutzte den linken Arm noch immer nicht und hielt ihn dicht am Körper bandagiert ruhig. Schnee hatte wenig gesagt, bloß zweimal täglich nach der Wunde gesehen. Faziya behauptete, sie finge an, sich kräftiger zu fühlen, und dass die Schmerzen nicht so schlimm seien.
Talia glaubte ihr nicht. Sie hörte, wie sie im Schlaf stöhnte. Sie sah, wie sich ihr Körper versteifte, wenn das Pferd sie durchschüttelte. Faziya brauchte besseres Essen und Ruhe, wenn sie genesen sollte.
Mit der Nacht kamen die Geräusche der Wilden Jagd. Letzte Nacht war das Heulen leiser gewesen, aber Talia machte sich Sorgen, was sie im Hai’ir tel erwartete. Falls Rajil wusste, welchem Stamm Faziya angehörte … Aber nur wenige Stadtbewohner schenkten den Kha’iida-Stämmen viel Beachtung, außer zu den Zeiten, wo die Wüstenbewohner an den Stadtrand kamen, um Handel zu treiben.
Schutz und Schatten waren inzwischen schwieriger zu finden. Sie hatten das felsige, mit Buschwerk übersäte Land hinter sich gelassen und eine Ausdehnung dessen betreten, was die Kha’iida Qa rablakh nannten, das Meer aus Sand.
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